Voraussetzungen für die Befreiung vom vertragsärztlichen Bereitschaftsdienst

(DAV). Kassenärzte sind grundsätzlich verpflichtet, an den Bereitschaftsdiensten mitzuwirken. Es besteht aber die Möglichkeit der Befreiung von dieser Pflicht. Es gelten die Bereitschaftsdienstordnungen (Notfalldienstordnungen) der Kassenärztlichen Vereinigung (KÄV). Trotzdem gibt es immer wieder Einzelfälle, die von Gerichten entschieden werden müssen.

Das Sozialgericht Mainz hat am 20. Januar 2022 (AZ: S 3 KA 9/20) einige Punkte nochmal klargestellt, wie die Arbeitsgemeinschaft Medizinrecht des Deutschen Anwaltvereins (DAV) mitteilt.

Befreiung vom ärztlichen Notdienst

Unzumutbar kann die Pflicht zur Teilnahme sein

  • aus gesundheitlichen Gründen,
  • aus persönlichen Gründen oder
  • der Arzt zwar finanziell in der Lage ist, einen Vertreter zu bezahlen, aber die KÄV keine Regeln für eine solche Dauervertretung erlassen hat. Die Letztverantwortung liegt bei der Kassenärztlichen Vereinigung.

Dem Fall lag folgender Sachverhalt zu Grunde:

Die Klägerin ist als Fachärztin für Neurologie und Psychiatrie mit einem vollen Versorgungsauftrag zur vertragsärztlichen Versorgung zugelassen. Sie war bis Ende April befristet vom vertragsärztlichen Bereitschaftsdienst aus gesundheitlichen Gründen befreit. Sie beantragte eine weitere Verlängerung dieser Befreiung, welches die KÄV ablehnte.

Dagegen klagte die Ärztin mit Erfolg. Das Gericht erhob umfangreich Beweis. Nach dem Gutachten von einem Facharzt für Psychosomatische Medizin, Psychiatrie und Psychotherapie leide die Klägerin an einem organischen Psychosyndrom (beginnende Demenz). Mit einem solchen Krankheitsbild könne allenfalls die jahrelang ausgeübte Routinearbeit mit Unterstützung des Praxispersonals mit fraglicher Güte ausgeübt werden.

Es sei jedoch nahezu unmöglich, mit diesem Krankheitsbild auf ständig neue Situationen, wie sie im Bereitschaftsdienst vorkämen (vor allem bei fachfremden Krankheitsbildern), mit der nötigen Flexibilität, Umstellungsfähigkeit, Konzentrationsfähigkeit und Auffassungsgabe verantwortungsvoll zu reagieren. Aufgrund ihrer Erkrankung sei die Klägerin auf Dauer nicht in der Lage, am vertragsärztlichen Bereitschaftsdienst teilzunehmen.

Befreiung vom vertragsärztlichen Bereitschaftsdienst

Die Ärztin hatte Erfolg: Das Sozialgericht in Mainz hob die ablehnenden Bescheide auf. Die KÄV wurde verpflichtet, die Klägerin über den 30. April 2019 hinaus von der Teilnahme am vertragsärztlichen Bereitschaftsdienst zu befreien.

Laut Gutachten war die Klägerin gesundheitlich nicht in der Lage persönlich Bereitschaftsdienste zu übernehmen.

Es bedurfte der Überprüfung nach der Bereitschaftsdienstordnung der Beklagten (BDO KV RLP).

  • § 9 Abs. 2 Satz 1 BDO: Ein schwerwiegender Grund liegt in der Regel nicht vor, wenn seitens des Antragstellers eine Praxistätigkeit in nicht deutlich eingeschränktem Umfang aufrechterhalten wird.
    Zwar war die Klägerin offenkundig in der Lage, ihren Praxisbetrieb vollumfänglich aufrecht zu erhalten. Dies hatte in Ansehung ihres Krankheitsbildes jedoch keine Aussagekraft im Hinblick auf ihre Befähigung, am vertragsärztlichen Bereitschaftsdienst teilzunehmen.
  • § 9 Abs. 2 Satz 2 BDO: Danach wird die Befreiung eines persönlich ungeeigneten Arztes davon abhängig gemacht, ob es finanziell zumutbar ist, sich auf eigene Kosten vertreten zu lassen.
    Dies setzt aber die Existenz einer normativ abgesicherten Dauervertretung voraus. Die beklagte KÄV, die für die Sicherstellung der vertragsärztlichen Versorgung auch zu den sprechstundenfreien Zeiten verantwortlich ist, muss entsprechende Regelungen erlassen, die zuverlässig sicherstellen, dass ein Vertreter zur Verfügung steht.
    Die Letztverantwortung für die Ausübung des Bereitschaftsdienstes liegt bei der Beklagten, wenn der zum Dienst eingeteilte Arzt niemanden findet, der den Dienst übernimmt, oder der vorgesehene Arzt kurzfristig ausfällt.
    Eine diesen Anforderungen genügende normativ abgesicherte Dauervertretung fand sich in der BDO nicht. Die Vorschrift des § 9 Abs. 2 Satz 2 BDO sei insofern mit höherrangigem Recht nicht vereinbar und daher nichtig, urteilte das Gericht.

Es darf aber auch keine Gefährdung der Patientenversorgung zu den sprechstundenfreien Zeiten im vertragsärztlichen Bereitschaftsdienst geben. Vorliegend war dies nicht der Fall. Im Zuständigkeitsbereich der Klägerin waren 139 niedergelassene Ärzte zur Teilnahme am Bereitschaftsdienst verpflichtet. Zudem waren 66 Ärzte in die bestehende Vertreterliste eingetragen.

Quelle: www.dav-medizinrecht.de

Pressemitteilung vom 18.07.2022

www.arge-medizinrecht.de