Umsatzsteuerbefreiung für ärztliche Praxisgemeinschaften?

(DAV). Ärztliche Dienstleistungen sind von der Umsatzsteuer befreit. Bei Praxisgemeinschaften kann fraglich sein, inwieweit die Steuerbefreiung auch für Organisationsleistungen der Gesellschaft gilt. Leistungen für unmittelbare Zwecke der Ausübung der ärztlichen Tätigkeiten sind ebenfalls steuerfrei.

Insbesondere Reinigungs- und Praxisorganisationsleistungen (Rezeptionskraft) sind solche dienenden Zwecke. Dazu gehört auch Durchführung von Kursen zur Schmerzbewältigung und Muskelentspannung durch freie Mitarbeiter. Dies folgt einer Entscheidung des Finanzgerichts Hannover vom 11. November 2021 (AZ: 5 K 62/19). Die Arbeitsgemeinschaft Medizinrecht des Deutschen Anwaltvereins (DAV) weist auf eine Gesetzesänderung zum 1. Januar 2020 hin. Die Steuerbefreiung sei aber nicht entfallen, sondern durch eine Erweiterung des Anwendungsbereichs neu gefasst worden. Daher sei die Entscheidung des Finanzgerichts nach wie vor bedeutend.

Leistungen einer ärztlichen Praxisgemeinschaft

Zwei Ärzte für Allgemeinmedizin errichteten eine Praxisgemeinschaft in der Rechtsform einer GbR. Die Praxisgemeinschaft hatte die Aufgabe, den beteiligten Allgemeinmedizinern Praxisräume, Einrichtungen und Personal gegen einen Kostenersatz zur Verfügung zu stellen. Jeder der ärztlichen Gesellschafter übte seine ärztliche Tätigkeit unter seinem Namen aus und rechnete sie unter eigenem Namen ab. Nach dem Gesellschaftsvertrag wurde die Klägerin als „reine Kostengemeinschaft“ gegründet und sollte keine Gewinne erwirtschaften.

Im Einzelnen erbrachte die Praxisgemeinschaft verschiedene Leistungen, wie die Organisation. Hierfür beschäftigte die Praxisgemeinschaft eine Büro- und Rezeptionskraft. Diese wickelte und überwachte die Zahlungsvorgänge oder rechnete mit den privaten Krankenversicherungen ab. Dazu gehörte auch die Terminvergabe und Schreiben von Arztberichten.

Die Praxisgemeinschaft stellte eine Raumpflegerin ein, die mit der Reinigung der Praxisräumlichkeiten beauftragt war. Darüber hinaus schloss sie Verträge mit „freien Mitarbeitern“ (Krankengymnastin, Heilpraktiker und Psychologin) ab. So konnten in den Praxisräumlichkeiten unter anderem Kurse zu Muskelentspannungs- und Schmerzbewältigungstrainings durchgeführt werden. Diese rechnete die Praxisgemeinschaft für diese gegenüber den Krankenkassen ab.

Umsatzsteuer-Sonderprüfung der Gemeinschaftspraxis

Im Rahmen einer Umsatzsteuer-Sonderprüfung wurde die Praxisgemeinschaft im umsatzsteuerlichen Sinne als Unternehmerin angesehen. Die erbrachten Leistungen seien daher umsatzsteuerpflichtig, soweit sie nicht in der steuerfreien Überlassung von Räumlichkeiten bestünden oder unmittelbar für steuerfreie Heilbehandlungen verwendet worden seien. Umsatzsteuer sollte insbesondere für die Buchführungs- und Abrechnungsarbeiten sowie Praxisorganisationsleistungen und die Raumpflege gezahlt werden. Die Kurse zum Schmerzbewältigungstraining seien steuerfrei, das Muskelentspannungstraining jedoch nicht.

Die Klage der Praxisgemeinschaft war erfolgreich. Die strittige Umsatzsteuer setzte das Gericht auf null herab. Leistungen seien gegenüber den Mitgliedern von Praxisgemeinschaften steuerfrei, wenn deren Mitglieder als Arzt, Zahnarzt, Heilpraktiker, Physiotherapeut oder Hebamme tätig waren oder sie eine ähnliche heilberufliche Tätigkeit ausübten. Diese Leistungen müssten aber für unmittelbare Zwecke der Ausübung der genannten Tätigkeiten verwendet werden.

Die Geschäftsführung bei der Gesellschaft diene der Innenorganisation der Gesellschaft und sei daher steuerfrei. Dies gelte teilweise für die Tätigkeit einer Büro- und Rezeptionskraft. Die Buchführungs- und Abrechnungstätigkeiten seien steuerpflichtig. Die ärztliche Tätigkeit gegenüber dem jeweiligen Patienten könne auch ausgeübt werden, ohne dass in diesem Zusammenhang Buchführungs- und Abrechnungsarbeiten erledigt würden.

Soweit die Bürokraft allerdings in der Praxisorganisation und mit dem Schreiben von Arztberichten und ähnlichen Dokumentationen beschäftigt wäre, würden die ärztlichen Tätigkeiten unterstützt und seien daher steuerfrei. Ohne Praxisorganisation und ohne Arztberichte seien ambulante Heilbehandlungen durch Facharztpraxen nicht möglich.

Tätigkeit einer Rezeptionskraft umsatzsteuerfrei

Steuerfrei seien auch die Reinigungsleistungen durch die beschäftigte Reinigungsfachkraft. Diese Reinigungsleistungen seien unmittelbar für Zwecke der ärztlichen Heilbehandlung erbracht worden. Sie seien eine notwendige Vorstufe für die Erbringung der Heilbehandlung durch die Ärzte. Hygiene sei ein unverzichtbarer Bestandteil der ärztlichen Tätigkeit.

Auch die Leistungen, die von den „freien Mitarbeitern“ erbracht würden, seien steuerfrei. Sie dienten unmittelbar der ärztlichen Tätigkeit der Gesellschafter. Auch die Kurse für Muskelentspannungs- und Schmerzbewältigungstrainings wären Heilbehandlungsleistungen mit therapeutischer Zielsetzung.

Trotz der Einordnung der Buchführungs- und Abrechnungsarbeiten als steuerpflichtig musste die Praxisgemeinschaft keine Umsatzsteuer abführen. Für das Gericht unterschritt der Umfang dieser steuerpflichtigen Leistungen die Kleinunternehmergrenzen, so dass im Ergebnis keine Umsatzsteuer festzusetzen war.

Komplexe Fragen bei Praxisvertrag

Die Rechtsform einer Praxisgemeinschaft ist bei der Gründung ebenso zu klären wie die Aufteilung der Kosten, die Anschaffung von Apparaten oder steuerrechtliche Fragen. Die Fragen der Steuerfreiheit sind bislang nicht höchstrichterlich geklärt. Es bedarf der Entscheidung des Bundesfinanzhofes. Bei der Erstellung der Vertragsbeziehung einer Praxisgemeinschaft ist es wegen der vielfältigen Fragen, nicht nur Hinblick auf die Umsatzsteuer, nach Auffassung der DAV-Medizinrechtsanwälte daher dringend geboten, anwaltliche Hilfe in Anspruch zu nehmen. Eine Anwaltssuche findet sich auf der Seite der Arbeitsgemeinschaft.

Quelle: www.dav-medizinrecht.de

Pressemitteilung vom 30.08.2022

www.arge-medizinrecht.de