Arzt darf auf Befund des Kollegen vertrauen

Frankfurt/Berlin (dpa/tmn). Ein Arzt darf sich auf den Befundbericht des Kollegen einer anderen Fachrichtung verlassen. Zwar müssen sich die Mediziner über die Befunde austauschen und abstimmen, es besteht aber keine Überwachungspflicht. Das berichtet die Arbeitsgemeinschaft Medizinrecht des Deutschen Anwaltvereins (DAV) mit Blick auf eine Entscheidung des Frankfurter Oberlandesgerichts vom 16. Juli 2019 (AZ: 8 U 59/17).

Der Patientin waren vier Schrauben im Lendenwirbelbereich implantiert worden. Nach einem Sturz litt sie unter Schmerzen im unteren Rückenbereich. Sie suchte ihren Orthopäden auf und verwies dabei auch auf die implantierten Schrauben. Der Arzt veranlasste eine Röntgenuntersuchung. Der Radiologe kam zu dem Ergebnis: „Frakturen oder Beschädigungen … liegen nicht vor“. Der Orthopäde teilte diese Einschätzung und behandelte die Patientin entsprechend weiter. Gut ein Jahr später litt die Frau immer noch unter Schmerzen. Orthopäde und Radiologe kamen zu demselben Ergebnis wie ein Jahr zuvor.

Die Frau war jedoch der Meinung, dass eine Schraube durch den Sturz gebrochen sei und die Schmerzen verursache. Der Orthopäde hätte dies bei Durchsicht der Röntgenbilder erkennen müssen. Bei ihrer Vorstellung im Krankenhaus hätten die Ärzte den Materialbruch der Schraube mit Blick auf die Röntgenbilder sofort festgestellt. Sie habe sich einer weiteren Operation unterziehen müssen. Die Schmerzen seien ihr jedoch trotzdem geblieben. Ursache sei die lange andauernde Reizung des Nervs durch die gebrochene Schraube. Der Dauerschaden hätte durch eine sofortige OP verhindert werden können. Sie klagte auf Schmerzensgeld und Schadensersatz wegen ärztlicher Behandlungsfehler.

Ohne Erfolg. Letztendlich könne die Frage nach einem Behandlungsfehler ebenso offenbleiben wie die nach der Verantwortlichkeit für die Befundauswertung, entschieden die Richter. Es stehe schon nicht fest, ob der Sturz überhaupt zum Bruch der Schraube geführt habe, und ob die defekte Schraube die Schmerzen verursacht habe.

Jedenfalls habe sich der Orthopäde auf die Befunde seines Kollegen, des Radiologen, verlassen dürfen. Ein Arzt sei grundsätzlich nur für sein Fachgebiet verantwortlich und dürfe auf die sorgfältige Arbeit des anderen Arztes in dessen Fachgebiet vertrauen. In der Tat müssten sich die Mediziner zu Koordination der geplanten Maßnahmen gegenseitig informieren und abstimmen, sie auf Plausibilität prüfen und Zweifel klären. Solange aber keine offensichtlichen Qualifikationsmängel oder Fehlleistungen zu erkennen seien, dürfe der Arzt sich darauf verlassen, dass auch der Kollege des anderen Fachgebiets seine Aufgaben mit der gebotenen Sorgfalt erfülle. Es bestehe keine gegenseitige Überwachungspflicht.

Quelle: www.dav-medizinrecht.de

Pressemitteilung vom 20.07.2020

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