Arzthaftung bei unerkannter Schwangerschaft?

(dpa/red). Erkennt der Arzt eine bestehende Schwangerschaft nicht, kann die betroffene Frau deswegen unter Umständen nicht mehr rechtzeitig einen Schwangerschaftsabbruch vornehmen. Hat sie dann Anspruch auf Schmerzensgeld?

Nur bei einem rechtmäßigen Schwangerschaftsabbruch, entschied das Oberlandesgericht Oldenburg. Ein Abbruch im Rahmen der Beratungs- und Fristenlösung zählt nicht dazu, so die Arbeitsgemeinschaft Medizinrecht des Deutschen Anwaltvereins (DAV).

Ungewollte Schwangerschaft

Die Frau hatte ihre Gynäkologin aufgesucht, um abzuklären, ob sie schwanger war. Ihre Familienplanung hatte sie zu diesem Zeitpunkt bereits abgeschlossen und wollte auch aus anderen Gründen – unter anderem wegen psychischer Probleme und finanzieller Schwierigkeiten – kein weiteres Kind. Nach einer Ultraschalluntersuchung schloss die Ärztin eine Schwangerschaft aus. Tatsächlich aber war die Patientin in der sechsten Woche schwanger. Von der Schwangerschaft erfuhr sie erst in der 15. Schwangerschaftswoche durch eine Untersuchung beim Endokrinologen. In dessen Behandlung hatte sie sich wegen des Ausbleibens ihrer Regelblutung begeben.

In dem dazwischen liegenden Zeitraum hatte die Frau eine MRT- und eine CT-Untersuchung vornehmen lassen. Nachdem die Frau von der ungewollten Schwangerschaft erfahren hatte, ließ sie eine Fruchtwasseruntersuchung durchführen. Sie erhielt die Mitteilung, dass eine Schädigung des Embryos nicht zu erkennen sei. Im Juli 2013 kam ihr Sohn zur Welt. Die kleinen Zehen seiner Füße sind mit den daneben liegenden Zehen verwachsen.

Keine Möglichkeit einer legalen Abtreibung mehr: Schmerzensgeldforderung

Die Frau klagte gegen die Ärztin und forderte Schmerzensgeld in Höhe von 25.000 Euro und die Zahlung von Kindesunterhalt. Hätte sie rechtzeitig von der Schwangerschaft erfahren, hätte sie diese abgebrochen. Der Ärztin warf sie vor, keine Urin- und Blutuntersuchung durchgeführt zu haben. Sie habe ihr damit die Möglichkeit einer legalen Abtreibung genommen. 

Das ungewollte Kind bekommen zu müssen, habe eine enorme psychische und körperliche Belastung dargestellt. Es hätten sie Existenzängste, Depressionen, Zweifel und zeitweise sogar ausgeprägte Selbstmordgedanken geplagt. Während der gesamten Schwangerschaft habe sie unter starken Schlafstörungen gelitten. Sie könne keine Bindung zu ihrem Kind aufbauen, leide weiterhin unter Depressionen, Existenzängsten und Selbstmordgedanken. Sie nehme Medikamente und befinde sich in psychologischer Behandlung. Die bei ihrem Sohn vorliegenden Verwachsungen der Zehen seien auf die MRT- und CT-Untersuchungen zurückzuführen.

Schwangerschaftsabbruch wäre nicht rechtmäßig gewesen – keine Schadensersatzansprüche 

In erster und zweiter Instanz hatte die Frau keinen Erfolg. Entscheidend sei, ob der Schwangerschaftsabbruch rechtmäßig gewesen wäre, so das Oberlandesgericht Oldenburg. Dies sei dann der Fall, wenn medizinische oder kriminologische Gründe bestünden. Anders verhalte es sich jedoch, wenn die Schwangere den Abbruch auf Basis der Beratungs- und Fristenlösung habe vornehmen wollen. Ein solcher Schwangerschaftsabbruch sei nicht rechtmäßig, bleibe aber straffrei. Die Regelung habe lediglich zur Folge, dass die Frau, die ihre Schwangerschaft nach einer Beratung abbricht, straflos eine gesetzlich nicht erlaubte Handlung vornehme.

Auf medizinische Gründe habe sich die Klägerin jedoch erst in der zweiten Instanz berufen. Zuvor habe sie lediglich angegeben, dass sie bei rechtzeitigem Erkennen der Schwangerschaft einen Abbruch innerhalb der gesetzlich festgelegten Zwölfwochenfrist hätte vornehmen können. Nur diese Möglichkeit habe sie, wie sie ausdrücklich erklärt habe, für legal gehalten.

Zwar habe sie bereits in der ersten Instanz dargelegt, dass sie unter Existenzängsten, Depressionen, Zweifeln und Selbstmordgedanken gelitten habe und es eine enorme psychische und körperliche Belastung gewesen sei, das ungewollte Kind zu bekommen. Um die medizinische Indikation zu begründen, hätte sie aber darlegen müssen, dass ein Abbruch aus ärztlicher Sicht angezeigt gewesen wäre. Da sie das nicht getan habe, habe das Gericht ihre Ausführungen zu ihrem Gesundheitszustand der Begründung ihrer Schmerzensgeldforderung zuordnen müssen.

Pressemitteilung vom 05.03.2015

www.arge-medizinrecht.de