Relative Indikation einer OP: Arzt muss über Behandlungsalternative aufklären

(red/dpa). Bei einigen Erkrankungen stellt sich die Frage: operieren oder konservativ behandeln? Auch wenn der Arzt die Operation für die bessere Alternative hält, muss er den Patienten ausführlich und dezidiert über die Behandlungsalternative informieren und ihn aufklären.

In dem von der Arbeitsgemeinschaft Medizinrecht des Deutschen Anwaltvereins (DAV) mitgeteilten Fall begab sich ein Mann wegen andauernder Rückenschmerzen zum stationären Aufenthalt ins Krankenhaus. Dort unterzog er sich über mehrere Tage einer Behandlung. Der Arzt besprach mit dem Patienten den Befund der jüngsten Untersuchungen und führte ein Aufklärungsgespräch über die Operation bei Verengung des Wirbelkanals der Lendenwirbelsäule durch. Der Patient entschied sich dafür, den Eingriff durchführen zu lassen.

Nach der OP hatte er neurologische Ausfallerscheinungen in beiden Beinen. Der Patient konnte das gestreckte Bein nicht mehr anheben, litt unter einer Fußheber- und Fußsenkerparese und war nicht mehr in der Lage, Wasser zu lassen. Der Arzt nahm erneut einen Eingriff vor, bei dem er ein so genanntes epidurales Hämatom entfernte. Es trat jedoch keine Besserung bei dem Patienten ein.

Der Behandelte ließ sich auf eigenen Wunsch in eine andere Klinik verlegen. Dort stellte man wiederum ein epidurales Hämatom fest, dass operativ entfernt wurde.  Der Patient klagte unter anderem auf Schmerzensgeld und Schadenersatz. Er war der Meinung, der Arzt hätte Aufklärungs- und Behandlungsfehler begangen. Die OP habe zu einer chronischen inkompletten Querschnittslähmung mit einer Blasenentleerungsstörung und einer erektilen Dysfunktion geführt. Diese Folgen hätten bei einer zeitnahen Entfernung des epiduralen Hämatoms verhindert werden können.

In zweiter Instanz bekam der Patient Recht (Entscheidung des Oberlandesgerichts Hamm vom 15. Dezember 2017; AZ: I-26 U 3/14). Das Gericht zeigte sich überzeugt, dass die Aufklärung vor dem ersten Eingriff unzureichend gewesen war. Es habe nur eine relative Indikation für den operativen Eingriff bestanden. Daher hätte der behandelnde Arzt den Patienten dezidiert mündlich über die echte Behandlungsalternative einer konservativen Behandlung aufklären müssen.

Wahlmöglichkeit: Patient muss echte Behandlungsalternativen kennen

Zwar sei die Wahl der Behandlungsmethode in erster Linie Sache des Arztes. Um das Selbstbestimmungsrecht des Patienten zu wahren, müsse der Arzt den Patienten in bestimmten Situationen über eine alternative Behandlungsmöglichkeit aufklären. Das ist dann der Fall, wenn für eine medizinisch sinnvolle Therapie mehrere gleichwertige Behandlungsmöglichkeiten zur Verfügung stehen, die

  • zu unterschiedlichen Belastungen des Patienten führen,
  • unterschiedliche Risiken und Erfolgschancen aufweisen.

Bestehe also für den Patienten eine echte Wahlmöglichkeit, dann müsse man ihn vollständig aufklären und ihm die Entscheidung überlassen, wie die Behandlung erfolgen solle und welches Risiko er auf sich zu nehmen bereit sei. Je weniger dringlich der Eingriff nach medizinischer Indikation und Heilungsaussicht sei, desto höher seien Maß und Genauigkeitsgrad der Aufklärungspflicht. So sei es bei einer nur relativ notwendigen OP auch geboten, über die Möglichkeit einer abwartenden Behandlung oder das Nichtstun aufzuklären.

Ärztliche Behandlung: Schriftliche Aufklärung muss ausführlich sein

Auch sei die schriftliche Aufklärung nicht ausreichend gewesen, so die Einschätzung des medizinischen Sachverständigen. Aus seiner Sicht wäre es erforderlich gewesen, nochmals konkret auf die konservative Therapie einzugehen. Der vom Patienten unterschriebene Aufklärungsbogen sei weder geeignet, ihn umfassend auf die konservative Behandlungsmöglichkeit hinzuweisen, noch führe er das konkret bei ihm erhöhte Operationsrisiko auf. Zudem enthalte es keinerlei handschriftliche Zusätze oder Individualisierungen.

Dem Patient hat nach Entscheidung der Richter Anspruch auf den Ersatz materieller und immaterieller Schäden. Die Höhe des Schmerzensgeldes bemaßen die Richter mit 75.000 Euro.

Quelle: www.dav-medizinrecht.de

Pressemitteilung vom 13.08.2018

www.arge-medizinrecht.de