Krankenversicherung: Zahnfehlstellung keine Anomalie für Versicherungsausschluss

(DAV). Wer Versicherungen abschließt, muss die Fragen im Antrag genau beantworten. Sonst riskiert man seinen Versicherungsschutz. Gerade bei privaten Krankenversicherungen muss man aufpassen, auch bei Zusatzversicherungen. Allerdings müssen die Fragen klar sein und man muss sie leicht beantworten können. Ist dies nicht der Fall, kann sich die Krankenversicherung nicht auf einen Verstoß gegen die Anzeigepflicht berufen.

Die Frage des Krankenversicherers nach bestehenden „Anomalien“ in Bezug auf Zahnfehlstellungen ist nicht klar genug. Sie berechtigt nicht zum nachträglichen Ausschluss der Kostenübernahme für kieferorthopädische Behandlungen. Dies ergibt sich aus einer Entscheidung des Oberlandesgerichts Frankfurt vom 24. März 2021 (AZ: 7 U 44/20), wie die Arbeitsgemeinschaft Medizinrecht des Deutschen Anwaltvereins (DAV) mitteilt.

Engstellung der Backenzähne eine Anomalie?

Es ging um Erstattung von Aufwendungen für eine kieferorthopädische Behandlung der Tochter des Klägers. Die private Krankheitskosten- und Pflegeversicherung wurde im März 2017 geschlossen. Bei Abschluss musste der Kläger – wie üblich – auch Fragen zur Gesundheit und Vorerkrankungen beantworten. Da seine Tochter mitversichert wurde, auch zu ihr. Er beantwortete folgende Frage mit „nein“: „Bestehen/bestanden in den letzten 3 Jahren Beschwerden, Krankheiten, Anomalien (auch Implantate (zum Beispiel Brustimplantate) und/oder Unfallfolgen…), die nicht ärztlich …behandelt wurden?“

Seit 2011 befand sich seine Tochter in regelmäßiger zahnärztlicher Kontrolle. Daher war ein Engstand ihrer Backenzähne bekannt. Als sie im Sommer 2017 einen Unfall hatte, brach ein Zahn ab. Im Zusammenhang mit dieser Behandlung wurde die Indikation für eine kieferorthopädische Behandlung gestellt. Im Heilbehandlungs- und Kostenplan der Kieferorthopädin vom November 2017 heißt es u.a. „Platzmangel im UK (Unterkiefer), Scherenbiss Zahn 24, diverse Rotationen und Kippungen“.

Die Krankenversicherung verweigerte die Übernahme der Behandlungskosten. Sie meinte, der Kläger hätte den Engstand der Backenzähne als „Anomalie“ anzeigen müssen. Bei Kenntnis hätte sie den Vertrag nicht einschränkungslos angenommen, sondern einen Leistungsausschluss für die kieferorthopädische Behandlung vereinbart.

Kein Ausschluss der Krankenversicherung, wenn Frage unklar

Der Kläger berief sich darauf, dass er erstmals im Sommer 2017 von der Notwendigkeit einer kieferorthopädischen Behandlung erfuhr. Auf eine solche habe zuvor nichts hingedeutet; insbesondere auch nicht der Engstand der Backenzähne.

Das Landgericht hatte die Klage gegen die Krankenversicherung noch abgewiesen. Beim Oberlandesgericht bekam der Kläger Recht.

Die Krankenversicherung musste die kiefernorthopädische Behandlung übernehmen.

Für das Gericht war der Grund eindeutig: Die Frage sei unklar formuliert gewesen. Daher musste der Kläger nicht versuchen zu interpretieren, was eine Anomalie ist.

Im Übrigen ist ein Engstand der Backenzähne auch keine „Krankheit“. „Krankheit“ im versicherungsvertraglichen Sinne ist „ein anormaler Körper- oder Geisteszustand, der eine nicht ganz unerhebliche Störung körperlicher oder geistiger Funktionen mit sich bringt“, führte das OLG aus.

Private Krankenversicherung muss Kosten bezahlen

Die Frage war unklar. Für den durchschnittlichen Versicherungsnehmer ist nicht erkennbar, was unter einer Anomalie im Zahnbereich zu verstehen ist. Gemäß der Definition im Duden ist eine Anomalie eine Abweichung vom Normalen, eine körperliche Fehlbildung. Für die meisten wären das eher als eine Missbildung, eine Behinderung zu verstehen als eine Zahn- und Kieferfehlstellung. Dafür spreche auch der Klammerzusatz, der auf Implantate verweise.

Fragen, die eine Wertung des Versicherungsnehmers voraussetzten, sind grundsätzlich unzulässig. Sie können deshalb auch keine Pflicht zur Anzeige begründen.

Quelle: www.dav-medizinrecht.de

Pressemitteilung vom 11.06.2021

www.arge-medizinrecht.de