Falsche Diagnose, richtiges Medikament: Krankenkasse muss zahlen

Darmstadt/Berlin (dpa/tmn). Krankenkassen müssen nur dann die Kosten für ein Medikament übernehmen, wenn dies für die vorliegende Erkrankung auch zugelassen ist. Lehnt sie dies aufgrund einer Fehldiagnose ab und stellt sich später heraus, dass das Medikament für die tatsächliche Erkrankung zugelassen ist, muss die Kasse auch rückwirkend zahlen. Darüber informiert die Arbeitsgemeinschaft Medizinrecht des Deutschen Anwaltvereins (DAV) und verweist auf eine Entscheidung des Hessischen Landessozialgerichts vom 10. September 2020 (AZ: L 8 KR 687/18).

Der gesetzlich krankenversicherte Mann leidet an einer Sensibilitätsstörung der Beine. Zunächst diagnostizierten die Ärzte eine Ganglionitis, die sie mit Immunglobulinen behandeln wollten. Die Krankenkasse lehnte es ab, die Kosten zu übernehmen. Die Immunglobuline seien zur Behandlung bei Verdacht auf Ganglionitis nicht zugelassen. Es liege weder „eine regelmäßig tödlich verlaufende Erkrankung noch eine wertungsmäßig gleichgestellte Krankheit vor“. Die Voraussetzungen für einen Off-label-use – der Einsatz von Medikamenten außerhalb des arzneimittelrechtlich zugelassenen Anwendungsbereichs – seien nicht erfüllt. Der Mann ließ sich auf eigene Kosten mit den Immunglobulinen behandeln und klagte auf Erstattung der Kosten.

Als der Mann in dieser Zeit erneut stationär behandelt werden musste, stellten die Ärzte fest, dass es sich nicht um eine Ganglionitis, sondern eine autoimmun bedingte Entzündung der Spinalhinterwurzel handelt. Zur Behandlung dieser Erkrankung sind die Immunglobuline zugelassen.

Vor Gericht hatte der Mann in zweiter Instanz Erfolg. Die Krankenkasse musste Kosten in Höhe von rund 34.800 Euro übernehmen. Sie hatte argumentiert, der Mann habe erst ab dem Zeitpunkt, als sich die Diagnose änderte, Anspruch auf Kostenerstattung. Das wiesen die Richter zurück: Die Ablehnung einer Leistung bleibe auch dann rechtswidrig, wenn diese Rechtswidrigkeit erst im Verlauf des Verfahrens offenbar werde.

Gesetzlich Versicherte könnten Versorgung mit einem verschreibungspflichtigen Fertigarzneimittel nur beanspruchen, erläuterte das Gericht, wenn eine arzneimittelrechtliche Zulassung für die Krankheit bestehe, bei der es angewendet werden solle. Fehle ihnen diese Zulassung, müssten die Krankenkassen nicht zahlen. Die intravenöse Gabe von Immunglobulinen erfülle im vorliegenden Fall jedoch die Voraussetzungen.

Quelle: www.dav-medizinrecht.de

Pressemitteilung vom 09.11.2020

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