Arzt mit starken Schmerzen: Behandelnder Kollege kann keine Anamnese erwarten

(DAV). Behandelt ein Arzt einen Kollegen, setzt er bisweilen voraus, dass der andere Arzt von sich aus die Anamnese ‚liefert‘. Das darf der behandelnde Arzt aber nicht erwarten, jedenfalls dann nicht, wenn der Kollege sehr stark beeinträchtigt ist, etwa durch große Schmerzen.

Darüber informiert die Arbeitsgemeinschaft Medizinrecht des Deutschen Anwaltvereins (DAV) mit Blick auf eine Entscheidung des Oberlandesgerichts Celle vom 9. April 2019 (AZ: 1 U 66/18).

Die Patientin, beruflich als Gynäkologin tätig, wandte sich wegen akuter und extremer Kopfschmerzen an ihren behandelnden Internisten. Bevor sie seine Privatsprechstunde aufsuchte, hatte sich die Ärztin angekündigt. Da ihr Arzt verhindert war, übernahm sein Stellvertreter die Untersuchung. Der Mediziner machte ein CT, das jedoch kein Ergebnis brachte. Daraufhin schickte er die Ärztin nach Hause und empfahl ihr, Ibuprofen gegen die Schmerzen einzunehmen. Noch am selben Tag wurde die Patientin mit Verdacht auf einen Krampfanfall im Gehirn per Rettungswagen in einem Krankenhaus eingeliefert. Die Ärzte stellten einen Hirnvenenverschluss (Sinusvenenthrombose) fest.

Wegen der Folgen der Erkrankung klagte die Ärztin auf Schmerzensgeld und Schadensersatz. Das Landgericht holte unter anderem ein medizinisches Sachverständigengutachten ein und kam zu dem Ergebnis, dass die Klage gerechtfertigt sei. Es stelle einen groben Behandlungsfehler dar, dass der Internist außer dem CT keine weiteren Untersuchungen durchgeführt habe.

Das Oberlandesgericht bestätigte diese Entscheidung und unterstrich die Begründung der vorhergehenden Instanz.  Es wäre eine klinische Untersuchung notwendig gewesen, die eine klinische Basisdiagnostik und die Erhebung eines groben neurologischen Status umfasst hätte.

Ärztin: keine vollständige eigene Anamnese bei großen Schmerzen

Auch wenn die Patientin selber Medizinerin sei, habe man von ihr nicht erwarten können, dass sie dem behandelnden Arzt ohne Nachfragen eine vollständige Anamnese liefere. Sie hätte extreme Schmerzen gehabt. Es sei und bleibe Aufgabe des behandelnden Arztes, entsprechend präzise Fragen zu stellen.

Es sei schlicht und ergreifend nicht nachvollziehbar, dass der Internist die gebotene Diagnostik nicht durchgeführt habe. Das gelte umso mehr, als die Computertomographie ohne Befund gewesen sei und daher auch keine Ursache für die starken Schmerzen aufgezeigt habe.

Arzt behandelt Arzt: Keine Schilderung der eigenen Krankengeschichte

Ein solcher grober Behandlungsfehler zieht eine Beweislastumkehr nach sich. Nicht die Patientin muss dem Arzt nachweisen, dass sein Fehler zu ihrem Schaden geführt hat, sondern der Arzt, dass „der Eintritt des Primärschadens aufgrund des Behandlungsfehlers gänzlich unwahrscheinlich sei“.

Die Ärztin hat Anspruch auf Schmerzensgeld und Schadensersatz. Über deren Höhe wird das Landgericht im weiteren Verfahren entscheiden.

Die Entscheidung des Oberlandesgerichts ist noch nicht rechtskräftig.

Quelle: www.dav-medizinrecht.de

Pressemitteilung vom 24.04.2019

www.arge-medizinrecht.de