Zur Einhaltung von Corona-Regeln in der Arztpraxis
In der Praxis einer Fachärztin für Allgemeinmedizin fanden sich Mitte Mai 2020 mehrere Aushänge, die darauf hinwiesen, dass dort „KEINE MASKENPFLICHT“ bestehe. „Ich respektiere jedoch ihre Angst und setze gerne eine Maske auf, wenn Sie das möchten (auch wenn das aus wissenschaftlicher Sicht nicht sinnvoll ist)“, hieß es. Zudem hielt die Bestuhlung im Wartezimmer den von der geltenden Corona Bekämpfungsverordnung Rheinland-Pfalz (CoBeLVO) geforderten 1,5 m-Abstand nicht ein. Praxismitarbeiter und Patienten trugen keine Schutzmasken.
Der zuständige Landkreis verpflichtete die Ärztin, dafür zu sorgen, dass sowohl Angestellte als auch Patientinnen und Patienten in Wartesituationen gemeinsam mit anderen Personen eine Mund-Nase-Bedeckung tragen, und durch geeignete Maßnahmen einen Mindestabstand von 1,5 m bei Wartesituationen sicherzustellen. Im Übrigen wurde die Ärztin aufgefordert, das Aufhängen von Plakaten mit dem Inhalt „Keine Maskenpflicht“ zu unterlassen.“ Widerspruch und Klage gegen die Verfügung blieben ohne Erfolg.
Die Ärztin könne in ihren Praxisräumen von Patientinnen und Patienten das Tragen einer Mund-Nasen-Bedeckung einfordern. Das ärztliche Berufsrecht konstituiere gerade keine grundsätzliche Behandlungspflicht. Es stehe Ärztinnen und Ärzten grundsätzlich frei, eine Behandlung abzulehnen (Vertragsabschlussfreiheit). In dem Fall, dass sich Personen ohne plausible Befreiung von der Maskenpflicht im Wartezimmer nicht an die Hygieneregeln halten und sich weigern, eine Mund- Nasen-Bedeckung zu tragen, könnten Ärztinnen und Ärzte jedenfalls im Regelfall unter Berufung auf ihr Hausrecht ein befristetes Hausverbot aussprechen.
Die Einhaltung eines Mindestabstands von 1,5 m gehöre als Teil der „AHA-Regeln“ zu den notwendigen, nach der CoBeLVO in Einrichtungen des Gesundheitswesens zu beachtenden Hygiene- und Schutzmaßnahmen. Die Betreiberin einer solchen Einrichtung habe daher auch Maßnahmen (wie das Anbringen gut sichtbarer Abstandsmarkierungen) zur Einhaltung des Abstandsgebots, insbesondere zur Steuerung des Zutritts, zu ergreifen.
Aus den gleichen Gründen seien die Angestellten der Praxis zu verpflichten, eine Mund-Nasen-Bedeckung zu tragen, da regelmäßiger Kontakt zu Besucherinnen und Besuchern der Praxis bestehe und die klagende Ärztin nicht vorgetragen habe, dass in der Praxis tagesaktuelle Tests vorgelegt würden. Nach der CoBeLVO bestehe in der Praxis der Klägerin eine grundsätzliche Maskenpflicht auch für deren Mitarbeiter; die SARS-CoV-2-Arbeitsschutzverordnung (Corona-ArbSchV) schreibe die Bereitstellung medizinischer Gesichtsmasken durch ArbeitgeberInnen vor. Die Anordnung zum Tragen der Maske sei vom ArbeitgeberInnen-Direktionsrecht umfasst; dem entspreche eine vertragliche Leistungs- oder Gehorsamspflicht auf ArbeitnehmerInnenseite. Die maßgebliche Rechtspflicht für ArbeitgeberInnen zur Einführung einer solchen Maskenpflicht im Betrieb ergebe sich aus der Fürsorgepflicht gemäß § 618 BGB, die ihrerseits wiederum Ausprägung der allgemeinen Pflicht aller Vertragsschließenden zur Rücksichtnahme aus § 241 Abs. 2 BGB sei. Öffentlich-rechtliche Arbeitsschutzvorschriften (§ 3 Abs. 1 ArbSchG) konkretisierten diese Schutzmaßnahmen. In der gegenwärtigen Pandemielage ergebe sich daraus die Pflicht der ArbeitgeberInnen sicherzustellen, dass ihre MitarbeiterInnen an den Arbeitsplätzen – und bei Arztpraxen auch die Patientinnen und Patienten – einem nur geringem bis gar keinem Infektionsrisiko ausgesetzt werden. Das ArbeitgeberInnen-Weisungsrecht erstrecke sich nach § 106 S. 2 GewO auch auf die Ordnung des ArbeitnehmerInnen-Verhaltens im Betrieb.
Das Aufhängen von Plakaten mit dem Inhalt „Keine Maskenpflicht“ habe die Ärztin aufgrund der Generalklausel des § 28 Abs. 1 S. 1 IfSG zu unterlassen. Es stehe ihr ohne Weiteres frei, Patientinnen und Patienten auf ihre Meinung, dass das Tragen von Masken wissenschaftlich nicht sinnvoll sei, aufmerksam zu machen. Allerdings könne sie sich nicht hoheitliche Befugnisse anmaßen und die Gültigkeit einer verbindlichen Norm (hier der CoBeLVO) in ihren Praxisräumen ausschließen.
Das Argument, dass die Verfügung des Landkreises auch an den Kollegen der Ärztin hätte gerichtet werden müssen, der die Praxis im Mai 2020 noch gemeinsam mit ihr betrieb, ließ das Gericht nicht gelten. Zum maßgeblichen Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung sei ihr Kollege aus der Praxis ausgeschieden. Ungeachtet dessen sei der Kreis nicht gehalten gewesen, den umstrittenen Bescheid auch an den Arzt zu schicken: Bei Personenmehrheiten müssten nicht alle als Störer in Anspruch genommen werden; vielmehr stehe der Ordnungsbehörde ein Auswahlermessen zu.
Dem Vortrag der Ärztin, sie habe aufgrund des Wirrwarrs der Coronaverordnungen kaum erkennen können, welche Verordnung zeitlich Geltung beanspruche, hielt das Gericht entgegen, Ärztinnen und Ärzte seien gemäß der Berufsordnung verpflichtet, sich über die für die Berufsausübung geltenden Vorschriften unterrichtet zu halten und diese zu beachten. Nach dem einschlägigen Heilberufsgesetz habe sich die Ärztin zudem fortwährend über die für ihre Berufsausübung geltenden Bestimmungen zu unterrichten. Ungeachtet dessen seien die Maskenpflicht in geschlossenen Räumen und das Einhalten von Abständen im Wartezimmer einer Arztpraxis durchgängig Inhalt der regelmäßig angepassten CoBeLVO gewesen.
Verwaltungsgericht Neustadt, Urteil vom 17.08.2021 – 5 K 125/21.NW
https://is.gd/04cR0O
Kein GKV-Anspruch auf künstliche Befruchtung für gleichgeschlechtliche Paare
Gleichgeschlechtliche Paare haben keinen Anspruch gegen die gesetzlichen Krankenkassen auf eine Kinderwunschbehandlung. Medizinische Maßnahmen zur Herbeiführung einer Schwangerschaft sind nach § 27a Abs. 1 Nr. 4 SGB V nur dann der Krankenbehandlung und damit den Leistungen der GKV zuzurechnen, wenn ausschließlich Ei- und Samenzellen der Ehegatten verwendet werden (sog. homologe Insemination). Der Gesetzgeber ist von Verfassung wegen nicht gezwungen, auch eine Kinderwunschbehandlung unter Verwendung von Spendersamen (sog. heterologe Insemination) vorzusehen.
Der Versicherungsfall des § 27a SGB V geht von einer grundsätzlich bestehenden Zeugungsfähigkeit des Ehepaars aus, die durch die Leistungen nach § 27a SGB V unterstützt werden soll. Zwar erkennt die Vorschrift als soziale Komponente die Erfüllung des Kinderwunsches innerhalb einer bestehenden Ehe als Behandlungsziel an. Sie knüpft darüber hinaus jedoch den Leistungsanspruch an das krankheitsähnliche Unvermögen, Kinder auf natürlichem Weg in der Ehe zu zeugen. Die Entscheidung, diese individuelle krankheitsähnliche Komponente durch die Förderung der künstlichen Befruchtung nur mit eigenen Ei- und Samenzellen der Eheleute nicht vor der sozialen Komponente zurücktreten zu lassen, ist vor dem Hintergrund der im Wesentlichen auf die Krankenbehandlung ausgerichteten GKV gerechtfertigt.
Zu einer anderen Bewertung zwingt auch nicht die Einführung der gleichgeschlechtlichen Ehe. Aus der Absicht des Gesetzgebers, die gleichgeschlechtliche Ehe an die gemischtgeschlechtliche Ehe anzugleichen, folgt nicht die Pflicht, die zeugungsbiologischen Grenzen einer solchen Ehe mit Mitteln der GKV auszugleichen.
Bundessozialgericht, Urteil vom 10.11.2021 – B 1 KR 7/21 R
- offenbar bisher nicht veröffentlicht -
Kasse muss auch Folge-OP der Brust mittels Lipofilling bezahlen
Nach der Bewilligung einer Brustoperation muss die GKV auch die Kosten einer notwendigen Folge-Operation tragen. Handelt es sich bei einer Fehlbildung der Brust um eine behandlungsbedürftige Krankheit im medizinischen Sinne, für die eine Leistungspflicht der GKV besteht, erstreckt sich diese auch auf eine notwendige Folge-OP, wenn eine Brustrekonstruktion mit der Erstoperation noch nicht vollständig abgeschlossen ist. Ob eine Nachkorrektur erforderlich ist, fällt vornehmlich in den Entscheidungsbereich der behandelnden Ärztinnen und Ärzte.
Eine 33-jährige gesetzlich krankenversicherte Frau litt anlagebedingt an einer einseitigen, tubulären Fehlbildung der Brust. Zur Korrektur der Asymmetrie wurde eine Transplantation von Eigenfett aus Unterbau und Flanken vorgenommen und von der Kasse bezahlt. Später zeigte sich, dass der Seitenunterschied noch nicht vollständig behoben war. Die Kasse lehnte jedoch die Übernahme der Kosten einer Folge-OP ab.
Das LSG hat einen Anspruch der Patientin auf Versorgung mit einer zweiten Korrektur-Operation mittels Lipofilling bejaht. Der Inhalt des Beschaffungsanspruchs gesetzlich Versicherter gegenüber der Krankenkasse werde weder vom Gesetz noch von der Kasse vorgegeben, sondern richte sich nach den medizinischen Bedürfnissen der erkrankten Person. Konkrete Ansprüche entstünden regelmäßig erst im Lauf der Behandlung dadurch, dass die Leistungserbringer die ersten Behandlungsschritte festlegen. Über Form und Umfang einer bewilligten Maßnahme – und die Notwendigkeit einer operativen Nachkorrektur – entscheiden dem LSG zufolge allein die durchführenden LeistungserbringerInnen, sowie Ärztinnen und Ärzte.
Landessozialgericht Niedersachsen-Bremen, Urteil vom 11.10.2021 – L 4 KR 417/20
https://is.gd/qIxZft
Klinik-Streiks trotz fehlender Notdienstvereinbarung zulässig
Die Asklepios Fachkliniken Brandenburg GmbH beantragte, der Gewerkschaft ver.di per einstweiliger Verfügung den Aufruf zu und die Durchführung von Streiks in ihren Kliniken bis zum Abschluss einer schriftlichen Notdienstvereinbarung zwischen Arbeitgeber und Gewerkschaft zu untersagen.
Das LAG hat dieses Begehren zurückgewiesen und die Durchführung von Streiks an Kliniken auch ohne die Errichtung einer schriftlichen Notdienstvereinbarung für zulässig erklärt. Der Abschluss einer solchen Vereinbarung sei für die Streikdurchführung keine konstitutive Voraussetzung. Für die Rechtsmäßigkeit eines Streiks sei vielmehr ausreichend, dass der erforderliche Notdienst (auch ohne Vereinbarung) tatsächlich sichergestellt werde.
In Ermangelung einer Notdienstvereinbarung traf das Gericht Notdienstregelungen nach eigenem Ermessen, um die Gefahr erheblicher Gesundheitsgefahren für die Bevölkerung auszuschließen. In seiner Entscheidung ordnete es konkret an, an welchem Klinik-Ort in welcher Einrichtung zu welcher Dienstzeit welches nichtärztliche Personal in welcher Zahl von der Gewerkschaft einzusetzen war – ohne den Streitenden die Möglichkeit einer späteren einvernehmlichen Notdienstregelung zu nehmen.
Landesarbeitsgericht Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 20.10.2021 – 12 Ta 1310/21
https://is.gd/Mdz75D
Vollstationäre Klinikbehandlung oder stationäre medizinische Rehabilitation?
Die Abgrenzung zwischen vollstationärer Krankenhausbehandlung und stationärer medizinischer Rehabilitation erfolgt im Wesentlichen nach der Art der Einrichtung, den Behandlungsmethoden und dem Hauptziel der Behandlung, die sich auch in der Organisation der Einrichtung widerspiegeln. Frührehabilitative Leistungen können von den Krankenhäusern nur als integraler Bestandteil der eigentlichen akutstationären Behandlung erbracht werden.
LSG Niedersachsen-Bremen, Urteil vom 20.07.2021 – L 16 KR 414/20
https://is.gd/Jyij0Q
Rufbereitschaft in der Arbeitspause kann zu vergütende Arbeitszeit sein
Art. 2 der Richtlinie 2003/88/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 04.11.2003 über bestimmte Aspekte der Arbeitszeitgestaltung ist dahin auszulegen, dass die den ArbeitnehmerInnen während der täglichen Arbeitszeit gewährten Ruhepausen, in der sie, wenn nötig, binnen zwei Minuten einsatzbereit sein müssen, als „Arbeitszeit“ im Sinne dieser Bestimmung einzustufen ist, wenn sich aus einer Gesamtwürdigung der relevanten Umstände ergibt, dass die dem Arbeitnehmer während dieser Ruhepause auferlegten Einschränkungen von solcher Art sind, dass sie objektiv gesehen ganz erheblich seine Möglichkeit beschränken, die Zeit, in der seine beruflichen Leistungen nicht in Anspruch genommen werden, frei zu gestalten und sie seinen eigenen Interessen zu widmen.
Die Frage, wie als Arbeitszeit anzusehender Bereitschaftsdienst zu vergüten ist, richtet sich allein nach nationalem Recht. Die Arbeitszeitrichtlinie ist lediglich dafür maßgeblich, ob die fraglichen Zeiten überhaupt als Arbeitszeit anzusehen sind, oder ob es sich um Ruhezeit handelt.
Da die Ruhezeiten, die dem Betroffenen im entschiedenen Fall gewährt wurden, von kurzer Dauer waren (jeweils 30 Minuten), wird das zuständige Gericht bei seiner Prüfung, ob die dem Betroffenen im Rahmen dieser Zeiträume auferlegten Einschränkungen von solcher Art waren, dass sie seine Möglichkeiten, sich zu entspannen und sich Tätigkeiten seiner Wahl zu widmen, objektiv gesehen ganz erheblich beschränkten, gleichwohl nicht die Beschränkungen dieser Möglichkeiten zu berücksichtigen haben, die auf jeden Fall bestanden hätten, da sie sich zwangsläufig aus der 30-minütigen Dauer jeder Ruhepause ableiteten. Denn diese Beschränkungen sind unabhängig von jenen, die mit seiner Verpflichtung einhergehen, binnen zwei Minuten einsatzbereit zu sein.
Europäischer Gerichtshof, Urteil vom 09.09.2021 – C-107/19
https://is.gd/5tklV0
Rufbereitschaftsdienste vom ArbeitgeberInnen-Direktionsrecht umfasst
Gehört die Ableistung von Rufbereitschaften zum Berufsbild, können ArbeitgeberInnen im Rahmen des Direktionsrechts nach § 611 Abs. 1 BGB i.V m. § 106 GewO grundsätzlich im Rahmen der vereinbarten Arbeitszeit auch die Ableistung von Rufbereitschaften anordnen, auch wenn dies im Arbeitsvertrag nicht ausdrücklich geregelt ist.
Landesarbeitsgericht Mecklenburg-Vorpommern, Urteil vom 23.07.2021 – 3 Sa 28/21
https://is.gd/J2Jj62
Wachstumsmöglichkeiten unterdurchschnittlich abrechnender Praxen
Vertragsärztinnen und -ärzten ist die Befugnis eingeräumt, durch Qualität und Attraktivität der Behandlung und Organisation der Praxis neue Patientinnen und Patienten für sich zu gewinnen und auf diese Weise die Position im Wettbewerb mit den Berufskolleginnen und -kollegen zu verbessern.
Kleinen Praxen ist ein Wachstum bis zum Umsatz einer für ihre Fachgruppe typischen Praxis möglich.
Erlaubt ist, den Fachgruppendurchschnitt innerhalb von fünf Jahren zu erreichen. Hierbei kann sich die Wachstumsmöglichkeit auch allein auf die Erhöhung der Zahl der behandelten Fälle im Vergleich zum Vorjahresquartal beziehen.
Diese wirtschaftliche Wachstumsperspektive betrifft auch unterdurchschnittlich abrechnende Praxen außerhalb der Aufbauphase. Diese Praxen dürfen allerdings für einen begrenzten Zeitraum von jeglicher Wachstumsmöglichkeit ausgeschlossen werden, sofern sie in der innerhalb des Fünf-Jahres-Zeitraums verbleibenden Zeit die realistische Möglichkeit haben, den Durchschnittsumsatz zu erreichen. Während also Praxen in der Aufbauphase ein sofortiges Wachstum auf den Fachgruppendurchschnitt möglich sein muss, unterliegt der Anspruch sonstiger unterdurchschnittlich abrechnender Praxen auf Honorarsteigerung bis zum Fachgruppendurchschnitt dem Vorbehalt, dass sie binnen fünf Jahren möglich sein muss; ein Moratorium von einem Jahr für Fallzahlerhöhungen darf festgelegt werden. Andererseits erschöpft sich die Verpflichtung, ein Wachstum bis zum Durchschnittsumsatz zu ermöglichen, nicht in der Gewährung einer einmaligen „Wachstumsmöglichkeit“. Vielmehr besteht das „Recht“ zum Wachstum bis zum Erreichen des Durchschnittsumsatzes.
Vertragsärztinnen und -ärzten steht es offen, durch eine Fallzahlsteigerung ein höheres Regelleistungsvolumen für das Folgejahr zu erzielen und so in dem Gesamtzeitraum von fünf Jahren den Durchschnittsumsatz der Fachgruppe zu erreichen.
Die faktischen Schwierigkeiten kleiner Praxen, im Hinblick auf eine große Zahl niedergelassener Ärzte in der jeweiligen Arztgruppe und eine insgesamt eher rückläufige Fallzahl den durchschnittlichen Umsatz zu erreichen, zwingen die KV nicht zu einer Regelung, die solchen Praxen eine Abrechnung aller erbrachten Leistungen zum Orientierungswert ermöglicht.
Landessozialgericht Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 10.05.2021 – L 11 KA 54/18
https://is.gd/1yQHQj
Hinweis: Nichtzulassungsbeschwerde anhängig beim BSG unter Az. B 6 KA 21/21 B
Krankschreibung ohne Arztbesuch
Die Werbung für ein Geschäftsmodell, bei dem ohne jeglichen persönlichen Kontakt zum Patienten eine Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung ausgestellt wird, ist unzulässig, weil es nicht den allgemein anerkannten fachlichen Standards im Sinne des § 9 S. 2 HWG entspricht. Die Bewerbung eines solchen Geschäftsmodells mit den Angaben „100 % gültiger AU-Schein“ sowie „100 % Akzeptanz bei Arbeitgebern und Krankenkassen“ ist außerdem irreführend, weil gerade nicht davon auszugehen ist, dass Arbeitgeber und Krankenkassen die streitgegenständlichen AU-Bescheinigungen bei Kenntnis sämtlicher Umstände ihrer Erteilung akzeptieren werden.
Oberlandesgericht Hamburg, Hinweisbeschluss vom 29.09.2021 – 3 U 148/20
- offenbar bisher nicht veröffentlicht -
Zur Vermischung von ärztlicher und gewerblicher Leistung
Nach den Berufsordnungen der Landesärztekammern dürfen Ärztinnen und Ärzte ihren Namen nicht in Verbindung mit einer ärztlichen Berufsbezeichnung in unlauterer Weise für gewerbliche Zwecke hergeben. Daher ist es einem Arzt untersagt, im Rahmen seines Internetauftritts für eine nach ihm benannte Pflegeserie oder ein Behandlungsgerät unter namentlicher Nennung des Herstellers zu werben. Hierin ist ein Verstoß gegen die Vorschriften der Berufsordnung (hier: §§ 3 Abs. 1, 27 Abs. 3 BO der nordrheinischen Ärztinnen und Ärzte) und damit zugleich auch gegen §§ 3, 3a UWG zu sehen.
Landgericht Frankfurt, Urteil vom 29.10.2021 – 3-10 O 27/21
https://is.gd/yx2An5
Freispruch: Substitutionsmittel nach den Regeln der ärztlichen Kunst verschrieben
Die Berufspflichten zur gewissenhaften Berufsausübung gemäß § 2 Abs. 2 BO und zur Beachtung der für die Berufsausübung geltenden Rechtsvorschriften nach § 2 Abs. 5 der BO der ÄK Berlin sind nicht verletzt, wenn ein Arzt einer drogenabhängigen Patientin Substitutionsmittel zum Eigengebrauch für eine Woche trotz des Beigebrauchs von Benzodiazepin verschreibt, wenn und solange er sich davon überzeugt, dass damit keine schwerwiegende Selbstgefährdung der Patientin verbunden ist. § 5 BtMVV und die dazu ergangene Richtlinie der BÄK enthalten insoweit keine strikten Vorgaben, sondern eröffnen dem Arzt einen Beurteilungsspielraum.
Berufsgericht für Heilberufe Berlin, Urteil vom 04. Juni 2021 – 90 K 4.19 T
https://is.gd/Fdvw4f
Arztbewertungsportale bleiben zulässig
Der BGH hat die Revisionen einer Fachzahnärztin für Parodontologie und eines Fachzahnarztes für Oralchirurgie zurückgewiesen, die gegen ihre Darstellung auf dem Bewertungsportal jameda.de geklagt hatten. Sie gingen gegen ihre dortigen „Basisprofile“ vor und versuchten, gerichtlich durchzusetzen, künftig nicht mehr ohne ihre Einwilligung auf dem Portal geführt zu werden. Konkret wandten sie sich gegen verschiedene Unterschiede bei der Ausgestaltung zahlungspflichtiger „Gold-“/„Platin-“Profile einerseits und der Basisprofile andererseits (etwa gegen die Möglichkeit, nur auf bezahlten Profilen Bilder und Texte einzustellen) sowie gegen eine unterschiedliche Behandlung zahlender und nicht zahlender Ärztinnen und Ärzte bei Serviceleistungen der Jameda GmbH.
Die Klagen hatten teilweise Erfolg. Bestimmte Differenzierungen zwischen zahlenden und nicht zahlenden Kundinnen und Kunden hielten auch die Gerichte für unzulässig. Dagegen scheiterte das Begehren, ein rechtskräftiges Urteil gegen Jameda zur Unterlassung einer künftigen Aufnahme in das Portal zu erwirken. Die gebotene Einzelfallabwägung zwischen dem Persönlichkeitsrecht der Betroffenen und den vom Grundrecht der Meinungs- und Medienfreiheit geschützten Interessen der Portalbetreiberin führte zu dem Ergebnis, dass die Jameda GmbH mit dem Portalbetrieb eine von der Rechtsordnung gebilligte und gesellschaftlich erwünschte Funktion erfüllt – solange sie ihre Stellung als „neutrale Informationsmittlerin“ wahrt.
Nach diesen im Jahr 2018 von ihm aufgestellten Grundsätzen sah der BGH in den beiden nun entschiedenen Fällen die notwendige Transparenz für die Portalnutzer letztlich überwiegend gewahrt. Die Nutzung kostenloser Basisprofile als „Werbeplattform“ für sog. Premiumkundinnen und -kunden sowie die Gewährung „verdeckter Vorteile“ hält der BGH dagegen für unzulässig.
Bundesgerichtshof, Urteile vom 13.10.2021 – VI ZR 488/19 und VI ZR 489/19
- offenbar bisher nicht veröffentlicht -