2021-07

Liebe Kolleginnen und Kollegen,

anliegend übersenden wir Ihnen den Juli-Newsletter 2021.

 
1. Urteile aus dem Medizinrecht

 

Zur Abgrenzung von Befund- und Aufklärungsfehlern

Eine Gehörsverletzung liegt bereits dann vor, wenn das Berufungsgericht in einem Arzthaftungsprozess den Inhalt eines von der klagenden Patientin vorgelegten Befundberichts offensichtlich unzutreffend erfasst hat.

Der Gehörsverstoß ist entscheidungserheblich, wenn das Berufungsgericht im Rahmen seiner Gesamtschau bei zutreffender Erfassung des Inhalts des Befundberichts zu dem Ergebnis gelangt wäre, die Patientin hätte von der beklagten Hausärztin bereits früher über den Befund informiert und/oder zur kurzfristigen Wiedervorstellung angehalten werden müssen (hier: keine Weitergabe einer Diagnose an Patientin, unterbliebene Behandlung, später Feststellung eines Pankreas-Karzinoms mit Metastasierung in der Leber).

Bei der Abgrenzung zwischen Befunderhebungsfehler und einem Fehler der therapeutischen Aufklärung ist darauf abzustellen, ob der Schwerpunkt der Vorwerfbarkeit des ärztlichen Fehlverhaltens in der unterbliebenen Befunderhebung als solcher oder im Unterlassen von Warnhinweisen zum Zwecke der Sicherstellung des Behandlungserfolges liegt. Der Schwerpunkt der Vorwerfbarkeit liegt in Fällen, in denen es schon an dem Hinweis fehlt, dass ein kontrollbedürftiger Befund vorliegt und dass Maßnahmen zur weiteren Abklärung medizinisch geboten sind, regelmäßig nicht im Unterlassen von Warnhinweisen, sondern in der unterbliebenen Befunderhebung.

Bundesgerichtshof, Beschluss vom 13.04.2021 – VI ZR 498/19
https://is.gd/QwGRLs 

Der für die Auswertung eines Befundes verantwortliche Arzt hat all die Auffälligkeiten zur Kenntnis und zum Anlass für die gebotenen Maßnahmen zu nehmen, die er aus berufsfachlicher Sicht seines Fachbereichs unter Berücksichtigung der in diesem Bereich vorausgesetzten Kenntnisse und Fähigkeiten sowie der Behandlungssituation feststellen muss. Diese Pflicht besteht erst recht dann, wenn, wie bei einem Mammographie-Screening, Zweck der Untersuchung die Früherkennung einer Krebserkrankung ist und es sich um eine im Rahmen der Anamnese nachgefragte und angegebene Auffälligkeit (hier: Mamillenretraktion) handelt, die auf eben eine solche Krebserkrankung hindeuten kann.

Wird ein Patient zutreffend über das Vorliegen eines kontrollbedürftigen Befundes und die medizinisch gebotenen Maßnahmen einer weiteren Kontrolle informiert und unterbleibt (lediglich) der Hinweis auf die Dringlichkeit der gebotenen Maßnahmen, so liegt der Schwerpunkt der Vorwerfbarkeit regelmäßig in dem Unterlassen von Warnhinweisen.

Bundesgerichtshof, Urteil vom 26.05.2020 – VI ZR 213/19
https://is.gd/SoULF0

 

Medizinische Beurteilung ohne Sachverständigen: Beschwerde erfolgreich

Die Nichtzulassungsbeschwerde des Klägers hat Erfolg und führt gemäß § 544 Abs. 9 ZPO zur Aufhebung des angegriffenen Urteils und zur Zurückverweisung des Rechtsstreits an das Berufungsgericht, das den Anspruch auf rechtliches Gehör aus Art. 103 Abs. 1 GG in entscheidungserheblicher Weise verletzt hat. Seine Beurteilung, der beklagten Kinderärztin sei nicht deshalb ein Befunderhebungsfehler vorzuwerfen, weil sie die beim Kläger im Kindesalter festgestellten Auffälligkeiten (Entwicklungsstörung der Motorik und der Sprache, Persönlichkeits- und Verhaltensstörung, Störung der exekutiven Funktionen sowie im Sozialverhalten) nicht zum Anlass genommen hat, ihn zeitnah in einem sozialpädiatrischen Zentrum vorzustellen, beruht auf dieser Verletzung. 

Die Frage, welche Maßnahmen der Arzt aus der berufsfachlichen Sicht seines Fachbereichs unter Berücksichtigung der in diesem Bereich vorausgesetzten Kenntnisse und Fähigkeiten in der jeweiligen Behandlungssituation ergreifen muss, richtet sich in erster Linie nach medizinischen Maßstäben, die der Tatrichter mit Hilfe eines Sachverständigen zu bestimmen hat. Er darf den medizinischen Standard nicht ohne eine entsprechende Grundlage in einem Sachverständigengutachten oder gar entgegen den Ausführungen des Sachverständigen aus eigener Beurteilung heraus festlegen. Etwas anderes gilt nur dann, wenn der Tatrichter ausnahmsweise selbst über das erforderliche medizinische Fachwissen verfügt und dies in seiner Entscheidung darlegt. Außerdem muss der Tatrichter, wenn er bei seiner Entscheidung eigene Sachkunde in Anspruch nehmen will, den Parteien zuvor einen entsprechenden Hinweis erteilen.

Wie die Nichtzulassungsbeschwerde zu Recht beanstandet, hat das Berufungsgericht im Streitfall eine eigene medizinische Bewertung des Behandlungsgeschehens vorgenommen ohne aufzuzeigen, dass es über die erforderliche medizinische Sachkunde verfügt. Es hat damit den medizinischen Standard in unzulässiger Weise selbst bestimmt.

Bundesgerichtshof, Beschluss vom 23.022021 – VI ZR 44/20
https://is.gd/IcF8XH

  

Tod nach Kaiserschnitt-Geburt: Keine Behandlungsfehler-Haftung

Nur wenn die von der Kindesmutter gewünschte sekundäre Sectio unter Berücksichtigung auch der Konstitution und der Befindlichkeit der Mutter in der konkreten Situation bei einer Betrachtung ex ante keine medizinisch vertretbare Alternative war, ist das Einlassen des Arztes auf den Wunsch der Kindesmutter als behandlungsfehlerhaft zu bewerten. 

Bundesgerichtshof, Urteil vom 12.01.2021 – VI ZR 60/20
https://is.gd/ZlsWXm

 

Keine Körperverletzung durch Corona-Schnelltest in Schule

Mehrere Kinder einer 4. Schulklasse hatten Kontakt zu einem Corona-positiv getesteten Kind. Nachdem das Gesundheitsamt hiervon Kenntnis erlangte, führte es am nächsten Morgen in der Klasse einen Schnelltest bei allen Schülern durch. Die Mutter eines getesteten Kinds zeigte den zuständigen Mitarbeiter des Gesundheitsamts wegen Körperverletzung im Amt an. Sie legte dazu ein Attest einer Allgemeinärztin vor, nach dem ihr Kind durch die Testung unter anderem eine schwere psychische Traumatisierung erlitten haben soll.

Die Staatsanwaltschaft Aurich lehnte eine Strafverfolgung mangels hinreichenden Tatverdachts ab. Gegen die Einstellung des Verfahrens legte die Mutter erfolglos Beschwerde zur Generalstaatsanwaltschaft ein. Schließlich rief die Mutter das OLG an.

Ihr Antrag hatte aus formellen und materiellen Gründen keinen Erfolg. Auch das Gericht sah keinen hinreichenden Tatverdacht einer Körperverletzung im Amt. Der Schnelltest sei nach § 25 IfSG zulässig gewesen. Die Durchführung des Tests sei insgesamt verhältnismäßig, um eine große Zahl von Menschen vor einer möglichen Infektion zu schützen. Darüber hinaus sei der Beweiswert des von der Mutter vorgelegten Attests denkbar gering. Es sei mehr als fraglich, wie die Ärztin im Rahmen eines einzigen Termins die Diagnose einer schweren psychischen Traumatisierung habe stellen können. Aufgrund der Ausstellung des Attests ergebe sich gegen sie vielmehr der Anfangsverdacht des Ausstellens eines unrichtigen Gesundheitszeugnisses (§ 278 StGB).

Oberlandesgericht Oldenburg, Urteil vom 10.05.2021 – 1 Ws 141/21
- veröffentlicht unter juris.de -

  

Katarakt-OPs nach Schlaganfall: Arzt wegen Körperverletzung verurteilt

Ein Arzt ist zur Aufklärung über in seiner Person liegende Risiken verpflichtet, die Einfluss auf die sachgerechte Durchführung der ärztlichen Heilbehandlung haben können (hier: Störungen der motorischen Koordination nach Schlaganfall). Unterlässt er diese gebotene Aufklärung, macht er sich auch dann strafbar, wenn er die Behandlung sachgerecht, fehlerfrei und erfolgreich ausführt, weil dann die Einwilligung des Patienten wegen mangelndem Wissen unwirksam ist.

Landgericht Kempten, 08.10.2020 – 3 Ns 111 Js 10508/14
https://is.gd/V9701T 

 

Abrechnungsbetrug und Bestechung im Gesundheitswesen (299b StGB)

Ein Arzt betrieb ein pathologisches Institut und baute sich ein Kooperationsnetzwerk mit niedergelassenen Ärzten auf.  Er versprach diesen als Anreiz für die Zusammenarbeit eine finanzielle Vergütung als Gegenleistung für die Übersendung entsprechender Proben. Hierdurch verschaffte sich der Angeklagte gegenüber anderen, redlich handelnden Pathologen einen Wettbewerbsvorteil.

Insgesamt erlangte der angeklagte Arzt auf diese Weise unberechtigte Einnahmen in Höhe von fast 2 Mio. €. Er wurde zu einer Freiheitsstrafe von 2 Jahren und 9 Monaten, seine Ehefrau zu einem Jahr und 6 Monaten verurteilt.

Im Strafrecht gelte die streng formale Betrachtungsweise des Sozialversicherungsrechts, so das Gericht, wonach eine Leistung auch dann nicht abrechnungsfähig ist, wenn es an der Erfüllung formaler Voraussetzungen fehlt, die Leistungen jedoch im Übrigen ordnungsgemäß erbracht worden sind.

Landgericht Saarbrücken, Urteil vom 29.06.2020 – 2 KLs 5/20
https://is.gd/ZTGAbc

  

Berufungsausschuss darf nicht über Fortführungsfähigkeit entscheiden

Der BA darf ungeachtet der Neuregelung des § 103 Abs. 3a SGB V in einem Mitbewerberstreit nicht über die Frage des Vorliegens einer fortführungsfähigen Praxis entscheiden. Hierfür fehlt ihm die Prüfkompetenz. Vielmehr ist der ZA für die Beantwortung der Frage über die Durchführung eines Nachbesetzungsverfahrens, insbesondere für die Beurteilung des Vorliegens eines Praxissubstrats, allein zuständig.

§ 103 SGB V statuiert für die Nachbesetzung von Vertragsarztsitzen ein zweistufiges Verfahren. Auf der ersten Stufe wird über die Durchführung des Nachbesetzungsverfahrens entschieden (§ 103 Abs. 3a SGB V), auf der zweiten Stufe findet die Bewerberauswahl statt (§ 103 Abs. 4 ff. SGB V). Der ZA-Bescheid bezüglich der Ausschreibungsfrage entfaltet insoweit Rechtswirkungen für das in der Folge durchzuführende Nachbesetzungsverfahren. Ist er bestandskräftig geworden, dürfen die Zulassungsgremien die Nachbesetzung nicht mehr mit der Begründung ablehnen, dass die Voraussetzungen für die Durchführung des Nachbesetzungsverfahrens von vornherein nicht gegeben waren.

Gegen die Entscheidung über den Antrag auf Durchführung eines Nachbesetzungsverfahrens ist explizit nur der Klageweg eröffnet; sie ist der Überprüfung durch den BA entzogen. Erst gegen den ZA-Beschluss, in dem der Nachfolger ausgewählt wurde, kann der Berufungsausschuss angerufen werden.

Landessozialgericht NRW, Urteil vom 02.12.2020 – L 11 KA 46/19
- offenbar bisher nicht veröffentlicht -

 

Keine Genehmigung der Anstellung einer Ärztin im MVZ durch Sonderbedarfsfeststellung im Umfang von 10 Wochenarbeitsstunden (Anrechnungsfaktor 0,25)

Der G-BA hat mit dem § 53 Abs. 1 Nr. 2 S. 2 BedarfsPlRL geregelt, dass eine Nachbesetzung gemäß § 103 Abs. 4a S. 3 SGB V bei Sonderbedarfstatbeständen der erneuten Genehmigung bedarf und nur bei Fortbestand der Sonderbedarfsfeststellung mit Festsetzung einer erneuten Beschränkung erteilt werden kann. 

Weitere Vorgaben zur Sonderbedarfszulassung finden sich u.a. in § 36 BedarfsPlRL, der für angestellte Ärzte in einem MVZ entsprechend gilt (§ 53 Abs. 1 BedarfsPlRL). Nach dessen Abs. 8 kann die Deckung des Sonderbedarfs auch durch Anstellung eines weiteren Arztes in der Praxis des antragstellenden Vertragsarztes unter Angabe der vertraglich vereinbarten Arbeitszeit erfolgen. In den Tragenden Gründen zu § 36 Abs. 8 BedarfsPlRL heißt es insoweit, dass eine Teilanstellung mit dem Faktor 0,25 oder 0,75 auf Grundlage von Sonderbedarf auszuschließen sei. Dem entspricht § 19a Ärzte-ZV, der seit dem Terminservice- und Versorgungsgesetz vom 06.05.2019 zwar für Ärzte und Psychotherapeuten neben dem ganzen und hälftigen Versorgungsauftrag auch einen Dreiviertel-Versorgungsauftrag vorsieht. Die Zulassung für einen isolierten Einviertel-Versorgungsauftrag ist aber weiterhin nicht möglich. 

Landessozialgericht Baden-Württemberg, Urteil vom 28.04.2021 – L 5 KA 184/18
https://is.gd/zKoXwo

  

MVZ-Leiter setzt sich erfolglos gegen Bußgeldbescheid zu wehr

Ein zugelassenes MVZ hat die volle Verantwortung für die korrekte Organisation der Behandlung und für die Leistungsabrechnung. Diese Kernaufgaben des Zentrums werden in Person des ärztlichen Leiters wahrgenommen.

Weil die Gesamtverantwortung des ärztlichen Leiters auch die Richtigkeit der Abrechnung umfasst, besteht grundsätzlich keine Notwendigkeit, bei Pflichtverstößen vorrangig disziplinarrechtlich gegen angestellte Ärzte im MVZ (und allenfalls subsidiär gegen den ärztlichen Leiter) vorzugehen – auch wenn diese Leistungen nicht entsprechend der rechtlichen Vorgaben erbracht haben sollten.

Sozialgericht München, Gerichtsbescheid vom 22.01.2021 – S 38 KA 165/19
https://is.gd/jgv9bx

 

Anleitung von Assistenten: Kein Unterschied zwischen Vertrags(zahn)arzt und angestelltem (Zahn)Arzt

Die zulässige Höchstzahl an Vorbereitungsassistenten richtet sich nach der Zahl der Versorgungsaufträge, die ein MVZ erfüllt. Ein MVZ darf für jeden vollen Versorgungsauftrag, den es zu erfüllen hat, einen Assistenten in Vollzeit beschäftigen.

MVZ nehmen grundsätzlich gleichberechtigt neben Vertragsärzten an der vertragsärztlichen Versorgung teil und approbierte Ärzte, die in der ambulanten Versorgung tätig sein möchten, streben nicht mehr ausschließlich die selbstständige Tätigkeit als Vertragsarzt an, sondern werden teilweise als angestellte Ärzte bei einem Vertragsarzt oder in einem MVZ tätig. Vor diesem Hintergrund bereitet die Vorbereitungszeit heute nicht mehr ausschließlich auf eine Tätigkeit als Vertragsarzt, sondern ebenso auf eine Tätigkeit als angestellter Arzt vor. Die Genehmigung zur Beschäftigung von Vorbereitungsassistenten in einem MVZ darf demnach nicht davon abhängig sein, dass in dem MVZ ein Vertragsarzt tätig ist. Eine entsprechende gesetzliche Vorgabe existiert nicht und eine solche wäre auch nicht sinnvoll, weil ein in einem MVZ angestellter Arzt nicht weniger geeignet ist, einen Vorbereitungsassistenten anzuleiten und zu beaufsichtigen, als ein dort tätiger Vertragsarzt.

Solange ein Vertragsarzt in einem MVZ tätig ist, unterscheidet sich auch sein vertragsarztrechtlicher Status nicht wesentlich von dem eines Angestellten, weil das MVZ und nicht der dort tätige Vertragsarzt der KV als Träger der Zulassung und als Leistungserbringer gegenübertritt. Es ist auch nicht erforderlich, dass der Vorbereitungsassistent gerade dem zahnärztlichen Leiter eines MVZ zugeordnet wird. Aus seiner verantwortlichen Leiterposition kann nicht geschlossen werden, dass er für Anleitung und Beaufsichtigung eines Vorbereitungsassistenten notwendig besser qualifiziert wäre als andere im MVZ tätige Ärzte. Im Ergebnis dürfen daher Assistenten- und Vertreterrichtlinien einer KV auch mit Satzungsqualität die notwendige Qualifikation des Ausbilders nicht von einer vorherigen Tätigkeit als Vertragsarzt und/oder Leiter eines MVZ abhängig machen. Dies gilt für den vertragsärztlichen und den vertragszahnärztlichen Bereich gleichermaßen. 

Sozialgericht Marburg, Gerichtsbescheid vom 17.03.2021 – S 12 KA 373/20
https://is.gd/Doj3VI

  

Zahnärztlicher Heil- und Kostenplan eigenhändig zu unterzeichnen 

Zahnärztliche Leistungen, die nach der GOZ über das Maß einer zahnmedizinisch notwendigen Versorgung hinausgehen, müssen einschließlich ihrer Vergütung schriftlich in einem Heil- und Kostenplan vereinbart werden. Dabei handelt es sich um eine gesetzlich vorgesehene Schriftform im Sinne des § 126 BGB, sodass der Heil- und Kostenplan von beiden Parteien eigenhändig unterschrieben werden muss. Die Nichteinhaltung dieser gesetzlich vorgesehenen Schriftform hat die Nichtigkeit des Rechtsgeschäfts, mithin der Honorarvereinbarung zur Folge.

Landgericht Flensburg, Urteil vom 20.01.2021 – 3 O 190/17
- veröffentlicht unter juris.de -

  

Zahnprothese: Anspruch auf Neuanfertigung nur bei Mangel 

Eine Versicherte hat keinen Anspruch auf Neuanfertigung von Zahnprothesen durch einen Vertragszahnarzt ihrer Wahl, wenn die vom behandelnden Vertragszahnarzt durchgeführte prothetische Versorgung nicht mangelhaft ist. Auf die Frage, ob der Versicherten eine Weiterbehandlung durch ihren bisherigen Zahnarzt zumutbar ist, kommt es in diesem Fall nicht an. 

Macht die Versicherte geltend, dass sich die anatomischen Verhältnisse im Kiefer seit der Anfertigung des Zahnersatzes verändert haben, ist für eine Neuanfertigung von Zahnprothesen ein neuer Heil- und Kostenplan erforderlich.

Landessozialgericht Baden-Württemberg, Beschluss vom 11.01.2021 – L 11 KR 3701/20 ER-B
https://is.gd/fbUnAD

 

Werbung mit Fernbehandlung und irreführender Facharztbezeichnung

Ein Arzt warb in E-Mails für „Fachgespräche über Telefon und Video“. Dazu sollten Patienten jeweils zwei Fotos und ggf. eine Haarprobe einsenden. „Aus den Photonen des Lichtbildes und den Schwingungen der DNA“ sollten dann „die Parameter fast aller bekannten Viren, Bakterien und Parasiten“ ermittelt werden. Das Landgericht Koblenz sah darin einen Verstoß gegen die Werbung für Fernbehandlung (§ 9 HWG) und untersagte die Werbung für das Diagnose- und Therapieverfahren. Der Arzt könne sich auch nicht auf die Ausnahmevorschrift des § 9 S. 2 HWG berufen, denn er habe nicht dargelegt, warum ein persönlicher Arztkontakt mit dem Patienten nicht erforderlich sei.

Der Facharzt für Neurologie, Psychiatrie und Psychotherapie vermittelte in seinen Mails auch den Eindruck, in der „Raumfahrt- und Regulationsmedizin“ tätig zu sein, was das das Gericht für irreführend hielt und ebenfalls untersagte.

Landgericht Koblenz, Urteil vom 20.07.2021 –
https://is.gd/VYq29e

 

Kostenlose „Implantat-Sprechstunde“ im „Praxiszentrum“ doppelt rechtswidrig

1. Mit der Ankündigung einer kostenlosen Implantat-Sprechstunde durch einen Zahnarzt verbindet der Werbeadressat nicht nur eine reine Informationsveranstaltung, sondern eine individuelle Beratung. Sie verstößt daher als unzulässige Werbegabe gegen § 7 HWG, weil derartige ärztliche Beratungen nur gegen Entgelt zu erwarten sind.

2. Die Verwendung des Begriffs „Praxiszentrum“ für eine Zahnarztpraxis, in der nur der Praxisinhaber selbst und eine angestellte Zahnärztin tätig sind (die Zahnärztin noch dazu nicht für die besonders beworbene Fachrichtung), ist irreführend. Denn bei dieser Begriffsverwendung gehen die angesprochenen Verkehrskreise davon aus, dass es sich bei der beworbenen um eine gegenüber gewöhnlichen Praxen bedeutend größere Einrichtung handelt. Die Tatsache, dass sich ein zahnärztliches Labor im selben Gebäude wie die Praxis befindet, stützt die Erwartung der angesprochenen Verkehrskreise nicht.

Landgericht Braunschweig, Urteil vom 25.03.2021 – 22 O 582/20
- veröffentlicht unter juris.de -

 

Zur Vergütung von Mandatsträgern im kirchlichen Arbeitsverhältnis

§ 19 des Kirchengesetzes über Mitarbeitervertretungen in der Evangelischen Kirche in Deutschland

(MVG-EKD), nach dem die Mitglieder einer Mitarbeitervertretung ihr Amt unentgeltlich als Ehrenamt ausüben, stellt als kirchenrechtliche Regelung kein Verbotsgesetz im Sinne des § 134 BGB dar. 

Ein Arzt war seit 1981 im einem Krankenhaus beschäftigt und seit 1988 Mitglied, ab 1992 Vorsitzender der dort gebildeten Mitarbeitervertretung. Sein Arbeitgeber ist Mitglied im Diakonischen Werk. 2009 wechselte der Arzt in ein von demselben Arbeitgeber betriebenes MVZ. Mit dem Krankenhaus war der Arzt weiterhin aufgrund von Verträgen mit reduzierter Arbeitszeit und Vergütung verbunden, er blieb Vorsitzender der Mitarbeitervertretung. Im Jahr 2020 stellte der Arbeitgeber die Vergütungszahlungen an den Arzt ein und berief sich darauf, dass die ihnen zugrunde liegenden Verträge nur die Tätigkeit des Klägers in der Mitarbeitervertretung hätten ermöglichen sollen. Da diese nach § 19 MVG-EKD nur unentgeltlich möglich sei, seien die Verträge nichtig.

Die unter anderem auf Zahlung der eingestellten Vergütung gerichtete Klage des Arztes hatte Erfolg. Das Arbeitsgericht entschied, dass die Regelung des § 19 MVG-EKD sich gegen die Vereinbarungen der privatautonom geschlossenen Arbeitsverträge nicht durchsetze. Die Vorschrift sei Bestandteil der kirchlichen Ordnung, deren Aufrechterhaltung nicht Aufgabe der staatlichen Arbeitsgerichte sei. Eine Sittenwidrigkeit der vertraglichen Regelungen sei nicht erkennbar.

Arbeitsgericht Aachen, Urteil vom 26.03.2021 – 6 Ca 3433/20
https://is.gd/PURkgF

  

Nachtschicht-untaugliche Krankenschwester ist weiter zu beschäftigen

Kann eine Krankenschwester aus gesundheitlichen Gründen keine Nachtschichten mehr leisten, sonst aber weiterhin alle vertraglich geschuldeten Tätigkeiten ausführen, ist sie nicht arbeitsunfähig krank. Das Krankenhaus muss sie vielmehr außerhalb der Nachtschichten beschäftigen. Kommt es dem nicht nach, gerät es in Annahmeverzug, da keine Unmöglichkeit vorliegt.

Bundesarbeitsgericht, Urteil vom 09.04.2014 – 10 AZR 637/13
https://is.gd/2oonwT

 

2. Aktuelles

 

     a)  Zur Corona-Krise 

Genesenen-Zertifikate und Schnelltests: Vergütung in Coronavirus-TestV neu geregelt

Neben Impfzertifikaten können künftig alle Ärzte auch nachträglich Zertifikate für COVID-19-Genesene ausstellen. Die Vergütung wurde mit der neugefassten, am 01.07.2021 in Kraft getretenen Coronavirus-Testverordnung des BMG festgelegt. Sie erfolgt analog zum Impfzertifikat. Für das Ausstellen erhalten Ärztinnen und Ärzte zwei Euro je Zertifikat, wenn es direkt aus dem Praxisverwaltungssystem erstellt wird. Nutzen Praxen die aufwendigere Webanwendung des Robert Koch-Instituts, zahlt der Bund sechs Euro je Zertifikat. Die Abrechnung erfolgt über spezielle Pseudo-GOP. Voraussetzung für das Ausstellen eines Genesenenzertifikats ist ein positives PCR-Test-Ergebnis, das mindestens 28 Tage und maximal sechs Monate alt ist.

Mit der neuen Testverordnung sinkt überdies die Vergütung der Testung: Ärzte sowie Apotheken, Testzentren und andere Einrichtungen erhalten pro Test nunmehr noch acht Euro. Die Sachkosten werden mit einer Pauschale von 3,50 € erstattet. Außerdem wurde die TestV um die Testung mittels überwachter Antigen-Selbsttests zur Eigenanwendung ergänzt.

Coronavirus-TestV vom 24.06.2021:
https://is.gd/j3XVFC

 

Überblick

Liste aktueller Vorhaben, Gesetze, Verordnungen und Anordnungen des BMG:

https://is.gd/Ls0O7P

Überblick Sonderregelungen der KBV:

https://is.gd/KTxSS4

Befristete Sonderregelungen des G-BA im Zusammenhang mit der Coronavirus-Pandemie:

https://is.gd/iXbSGT

Liste der im Zuge der COVID-19-Pandemie erlassenen deutschen Gesetze, Verordnungen, Allgemeinverfügungen und weiteren generell-abstrakten Regelungen:

https://is.gd/esfrth

COVID-19-Dashboard des Zentralinstituts für die kassenärztliche Versorgung (Zi):

https://is.gd/ROlPhz

     b) allgemein

 

Bedarfsplanungs-Richtlinie angepasst

Der G-BA hat Details bei der Bedarfsplanung für niedergelassene Ärzte und Psychotherapeuten an aktuelle Verhältnisse im Bundesgebiet angepasst. Der sog. Morbiditätsfaktor sorgt dafür, dass eine veränderte Krankenlast (Morbidität) der Bevölkerung sowie regionale Unterschiede in der Bedarfsplanung sichtbar werden. So können beispielsweise rund 260 zusätzliche Stellen für Hausärzte ausgewiesen werden. 

Der Beschluss wird vom BMG rechtlich geprüft und tritt nach Genehmigung sowie Veröffentlichung im Bundesanzeiger in Kraft.

Beschluss und weitere Informationen:
https://is.gd/K4V5cw

 

 

3. Sonstiges

 

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Zur Erweiterung unseres Spektrums suchen wir

Rechtsanwälte/-anwältinnen

mit Schwerpunkt im Medizin- bzw. Gesundheitsrecht.

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Willkommen sind uns Kollegen/-innen mit Berufserfahrung – gern auch mit eigenem Mandantenstamm – ebenso wie am Fachgebiet interessierte Berufsanfänger. Gerne unterstützen wir Sie bei der Absolvierung eines Fachanwaltskurses oder beim Erwerb eines fachbezogenen Mastergrades (LL.M). Ihre Bewerbung behandeln wir auf Wunsch streng vertraulich.

Bei Interesse bitten wir um Kontaktaufnahme:

rehborn.rechtsanwälte

Prof. Dr. Martin Rehborn
Brüderweg 9
44135 Dortmund
email: m.rehborn@rehborn.com
tel.: 0231 / 222 43 112 oder 0173 / 28 39 765

 

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Rechtsanwalt (m/w).

Wir erwarten Engagement, ein überzeugendes Auftreten, Bereitschaft zum teamorientierten Arbeiten und einschlägige berufliche Erfahrungen im Gesellschaftsrecht. Wünschenswert wären zusätzliche Kenntnisse im Bereich des Vertragsarztrechts.

Wir bieten Ihnen eine anspruchsvolle und abwechslungsreiche Tätigkeit in einer im Medizinrecht hochspezialisierten Kanzlei.

Schriftliche Bewerbungen richten Sie bitte an
pwk & Partner Rechtsanwälte mbB
Herrn Rechtsanwalt Peter Peikert
Saarlandstr. 23
44139 Dortmund
T +49 (0) 231 77574-118
peter.peikert@pwk-partner.de

 

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Ihre Tätigkeit ist herausfordernd und abwechslungsreich. Sie haben stets Mandantenkontakt und nehmen an Besprechungen und Verhandlungen teil. Sie gestalten und verhandeln Verträge, begleiten Transaktionen und nehmen eigenständig Termine wahr.

Sie bringen mindestens ein vollbefriedigendes Examen, großes Interesse am Medizinrecht, auf jeden Fall Freude am Bezug zur Praxis und gute Englischkenntnisse mit. Sie arbeiten gern im Team, sind engagiert, haben Persönlichkeit und beim gemeinsamen Lunch etwas zu erzählen. 

Wir glauben, wir haben die spannendsten Mandate im Gesundheitsrecht. Wir arbeiten häufig an neuen und komplexen Rechtsfragen, insbesondere auch zu Digital Health, Medical Apps und KI. Wir arbeiten im Team und rechtsgebietsübergreifend.

Sie passen zu uns? Wir freuen uns darauf, Sie kennenzulernen. Ihre Bewerbung richten Sie bitte an

Franziska Dieterle
Chief of Staff
dieterle@db-law.de

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