BGH: Neue Entscheidung über Haftungsfall erforderlich
Stellt sich im Rahmen der Beweisaufnahme heraus, dass der von der Behandlungsseite benannte Arzt die streitgegenständliche Infusion, bei der es nach der Behauptung des klagenden Patienten zu Hygieneverstößen gekommen sein soll, gar nicht gelegt hat, muss das Gericht den Sachverhalt durch Hinweis auf die Notwendigkeit weiteren Vortrags aufklären. .
In der Notaufnahme eines Krankenhauses wurde einem Patienten ein venöser Zugang zur Verabreichung intravenöser Medikamente in der rechten Ellenbeuge gelegt. Später wurde eine MRSA-Infektion festgestellt. Die Keime setzten sich an der Wirbelsäule des Patienten fest und mussten operativ entfernt werden. Der Patient behauptete, der behandelnde Arzt habe bei der Injektion keine Handschuhe getragen, keine Handreinigung durchgeführt und eine ihm zuvor zu Boden gefallene Spritze verwendet. Dadurch sei es zu einer Infektion gekommen. Seine Haftungsklage wurde jedoch zunächst abgewiesen.
Die Revision des Patienten hatte Erfolg. Der BGH verwies den Rechtsstreit an das Berufungsgericht zurück. Die Klinikträgerin habe den Vortrag des Patienten nicht ausreichend bestritten. Nachdem sich im Zuge der Beweisaufnahme herausgestellt habe, dass nicht der benannte Arzt, sondern eine andere Person die Infusion gelegt hat, habe die Beklagte gerichtlich zur weiteren Stellungnahme aufgefordert werden müssen. Es habe zudem ein Hinweis darauf erfolgen müssen, dass sie ihrer sekundären Darlegungslast hinsichtlich der von ihr zur Sicherstellung der für ein behandlungsfehlerfreies Vorgehen ergriffenen Maßnahmen nicht nachgekommen ist. Denn die Beklagte verfüge als Betreiberin der Notaufnahme nicht nur über die einschlägigen Behandlungsunterlagen, sondern auch über die notwendigen Informationen zu diesen Sicherstellungsmaßnahmen der Hygiene und Infektionsprävention.
Bundesgerichtshof, Urteil vom 24.11.2020 – VI ZR 415/19
https://is.gd/5P0Mfo
Keine Haftung für nicht erkannte Parodontitis
Die Wertung einer objektiv unrichtigen Diagnose als Behandlungsfehler setzt die vorwerfbare Fehlinterpretation erhobenen Befunde oder die Unterlassung der für die Diagnosestellung oder ihre Überprüfung notwendiger Befunderhebungen in ex-ante Sicht voraus.
Unterliegt der Arzt einem vertretbaren Diagnoseirrtum und klärt er den Patienten deshalb unzureichend über mögliche Behandlungsoptionen auf, kommt eine Haftung wegen eines Aufklärungsmangels nicht in Betracht.
Oberlandesgericht Dresden, Beschluss vom 09.12.2020 – 4 U 1777/20
https://is.gd/405emC
Verordnung ohne Untersuchung: Kein Haftungsanspruch der Beihilfestelle
Nach einer Entscheidung des OLG Köln besteht kein Schadensersatzanspruch einer Beihilfestelle gegen einen Hausarzt, wenn eine Patientin sich Verordnungen, die ihr der Arzt aufgrund der Befunde anderer Ärzte ohne eigene Untersuchung ausgestellt hat, in betrügerischer Absicht von der Beihilfestelle auszahlen lässt, statt sie einzulösen.
Dem Urteil zufolge hat der Behandlungsvertrag zwischen Hausarzt und Patient keine Schutzwirkung für die Beihilfestelle als Dritte. § 278 StGB, der das Ausstellen unrichtiger Gesundheitszeugnisse unter Strafe stellt, ist kein Schutzgesetz im Sinne des § 823 Abs. 2 BGB, da das Delikt für sich genommen nicht geeignet ist, fremde Vermögensinteressen zu schädigen. Rezepte sind keine Gesundheitszeugnisse im Sinne des § 278 StGB, da sie keine Auskunft über den Gesundheitszustand eines Patienten geben und nicht dem Nachweis einer bestimmten medizinischen Diagnose dienen. Schließlich haben Ärzte auch keine Vermögensbetreuungspflicht hinsichtlich des Vermögens privater Versicherer oder der Beihilfestellen, da es an der erforderlichen engen, direkten Beziehung zwischen Arzt und Beihilfestelle oder privater Krankenversicherung fehlt.
Oberlandesgericht Köln, Urteil vom 16.12.2020 – 5 U 39/20
https://is.gd/IYXyl2
Zur Auswahlentscheidung im Nachbesetzungsverfahren
Vor dem 01.01.2012 gegründete, gemäß § 95 Abs. 1a S. 4 SGB V in ihrem Bestand geschützte MVZ sind aufgrund ihrer Zulassung berechtigt, sich auf Vertragsarztsitze zu bewerben, die nach § 103 Abs. 4 SGB V zur Nachbesetzung ausgeschrieben sind.
Die Bestimmung des § 103 Abs. 4 S. 5 Nr. 9 SGB V (Auswahlkriterium der Ergänzung des besonderen Versorgungsangebots) bezieht sich allein auf das Versorgungsangebot des MVZ selbst; eine sektorenübergreifende Sicht ist der Vorschrift fremd.
Die Beschwerden gegen die Anordnung des Sofortvollzugs der getroffenen Auswahlentscheidung zur Nachbesetzung des Vertragsarztsitzes einer Fachärztin für Orthopädie auf Grundlage des § 103 Abs. 4 Satz 1 SGB V bleiben ohne Erfolg.
Sächsisches Landessozialgericht, Beschluss vom 11.01.2021 – L 1 KA 4/20 B ER
- veröffentlicht unter juris.de -
Zum Anspruch auf Fortführung eines Nachbesetzungsverfahrens
Der im Rahmen des einstweiligen Rechtschutzverfahrens gestellte Antrag, die Antragsgegnerin zu verpflichten, ein bereits begonnenes vertragsärztliches Nachbesetzungsverfahren nach § 41 Ärzte-ZV fortzuführen, einen Praxisnachfolger oder eine -nachfolgerin auszuwählen und zum nächstmöglichen Zeitpunkt zuzulassen hat in Ermangelung eines Anordnungsgrundes keinen Erfolg, wenn dem Antragsteller zugesichert worden ist, dass der Praxissitz automatisch, ohne dass es eines weiteren Antrags des Praxisabgebers bedarf, neu ausgeschrieben wird.
Begehrt der Antragsteller mit seinem Antrag auf Gewährung von einstweiligem Rechtschutz die vollständige Vorwegnahme der Hauptsache, ist dem Streitwert der mutmaßliche volle Streitwert des Hauptsacheverfahrens zugrunde zu legen.
Landessozialgericht Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 30.12.2020 – L 7 KA 38/20 B ER
https://is.gd/FV3cP8
Zur Höhe des Streitwerts in Status-/Zulassungssachen
Die sozialgerichtliche Rechtsprechung zur Höhe von Streitwerten in Status-/Zulassungssachen (Bestimmung anhand der tatsächlichen bzw. prognostizierten Honorareinkünfte über einen Zeitraum dreier Jahre abzüglich der Praxiskosten bzw. 12-facher Ansatz des Regelstreitwerts) findet nur dann Anwendung, wenn ein direkter Zusammenhang mit Status-/Zulassungsfragen besteht. Ein indirekter Zusammenhang (z.B. bei der rechtlichen Klärung, welcher von zwei sich einander widersprechenden Bescheiden der Zulassungsgremien rechtswirksam ist) rechtfertigt mangels konkreter Anhaltspunkte lediglich den einfachen Ansatz des Regelstreitwertes in Höhe von 5.000,- € (§ 52 Abs. 2 GKG).
Der Ansatz der Erledigungsgebühr nach RVG-VV Nummer 1002 neben der Geschäftsgebühr nach RVG-VV Nummer 2300 ist nach Sinn und Zweck nur dann gerechtfertigt, wenn der Anwalt über das normale, mit dem Betreiben des Verfahrens üblicherweise verbundene Maß hinausgehend tätig wird und damit zur Erledigung des Rechtsstreits nicht unwesentlich beiträgt.
Gegenstand des vorausgegangenen Verwaltungsverfahrens war der Antrag einer BAG, die Erweiterung der BAG um einen weiteren Arzt zu genehmigen. Die genehmigte Erweiterung kam dann jedoch nicht zustande.
Sozialgericht München, Gerichtsbescheid vom 12.01.2021 – S 38 KA 435/19
https://is.gd/ucuj41
Keine Fallzahl-Erhöhung für BAG nach Verlust einer Zulassung an ein MVZ
Die KV ist nicht verpflichtet, im Rahmen der Bestimmung des RLV für eine radiologische BAG den Weggang einer Vertragsärztin unter Mitnahme ihrer Zulassung und Einbringung in ein MVZ in demselben zulassungsbeschränkten Bezirk im Rahmen der Entscheidung über eine Fallzahlerhöhung für die verbliebenen Praxispartnerinnen zu berücksichtigen.
Die in der BAG verbliebenen Ärztinnen hatten gegen die RLV-Zuweisung Widerspruch eingelegt und erfolglos argumentiert, die ehemalige Praxiskollegin sei in der seit Jahren etablierten BAG lediglich übergangs- und probeweise tätig gewesen. Ihr seien keine Patienten oder Überweisungen aus dem Einzugsgebiet an das MVZ gefolgt. Die infolgedessen aufgetretene Versorgungslücke habe durch die Gemeinschaftspraxis geschlossen werden müssen. Das belege eine historische Betrachtung der Fallzahlen, die vor, während und nach der Tätigkeit der ehemaligen Praxiskollegin weitestgehend konstant geblieben seien. Wie die Fallzahl im ersten Quartal nach dem Weggang belege, habe dieser gerade nicht zu dem im RLV-Bescheid zugrunde gelegten Fallzahlenrückgang geführt. Auf die Fallzahl im Aufsatzquartal dürfe für die verbliebenen beiden Ärztinnen nicht abgehoben werden. Diese sei wegen der Tätigkeit seinerzeit noch dreier Ärztinnen nicht repräsentativ. Hilfsweise sei zumindest die in dem Aufsatzquartal realisierte Fallzahl der Praxis dem RLV zugrunde zu legen. Bereits unter Geltung der Individualbudgets sei anerkannt, dass die tatsächliche Übernahme von Patienten einer nicht mehr fortgeführten Praxis zur Erhöhung des Budgets führe. Dabei komme es allein auf die Übernahme von Patienten an. Das Gericht sah jedoch keinen Anspruch auf Aufhebung des angefochtenen Zuweisungsbescheids und Fallzahlerhöhung im Wege der Neubescheidung gegeben.
Landessozialgericht Berlin-Brandenburg, Urteil vom 22.12.2020 – L 7 KA 45/16
https://is.gd/Mdz75D
Kein Kooperationszuschlag auf das RLV für augenärztliche ÜBAG
Ein Vertragsarzt, der die Zuweisung eines RLV bestandskräftig werden lässt, ist an diese Festsetzung gebunden und kann im nachfolgenden Honorarstreitverfahren nicht mehr deren Fehlerhaftigkeit geltend machen.
§ 9 Abs. 5 des Honorarverteilungsmaßstabs der KV Baden-Württemberg in der für das Quartal 4/2014 geltenden Fassung, wonach eine standortübergreifende BAG nur dann einen Förderzuschlag für die kooperative Behandlung von Patienten erhält, wenn an einem Vertragsarztsitz mehrere Ärzte niedergelassen sind, ist nicht zu beanstanden. Die Vorgaben der KBV gemäß § 87b Abs. 4 SGB V stehen dem nicht entgegen.
Landessozialgericht Baden-Württemberg, Urteil vom 28.10.2020 – L 5 KA 3935/18
https://is.gd/bGWAzx
„Umbuchung Überzahlung“ im Honorarbescheid ist Verwaltungsakt
Mit der Festsetzung einer „Umbuchung Überzahlung“ auf das nächste Quartal in einem Honorarbescheid wird das Leistungs- bzw. Zahlungsverhältnis abgeschlossen. Diese Festsetzung des Gesamtsaldos ist – anders als die Einstellung einer einzelnen Rechnungsposition, die zum Beispiel durch einen Regressbescheid bereits festgestellt wurde (Realakt) – ein Verwaltungsakt, der verbindlich feststellt, ob insgesamt noch Zahlungsansprüche oder Überzahlungen bestehen. Entsprechend kommt es zur Auszahlung eines Restvergütungsanspruchs oder das ärztliche Honorarkonto wird für das nächste Quartal belastet bzw. ein Rückforderungsbescheid kann ergehen.
Sozialgericht Marburg, Gerichtsbescheid vom 04.01.2021 – S 12 KA 465/15
https://is.gd/bGWAzx
Zum Ausschluss eines Arztes aus einem Palliativmedizinischen Konsiliardienst (PKD)
Ein aus einer PKD-Gesellschaft ausgeschlossener Gesellschafter (hier: Facharzt für Allgemeinmedizin) kann zumindest im Wege des einstweiligen Verfügungsverfahrens nicht erfolgreich verlangen, weiterhin als Gesellschafter des PKD behandelt zu werden, um palliativmedizinische Leistungen über den PKD abrechnen zu können, wenn er weiterhin im Wege der Regelversorgung abrechnen kann.
Im entschiedenen Fall sah das Gericht aus diesem Grund keine besondere Eilbedürftigkeit. Darüber hinaus sei auch keine existenzielle wirtschaftliche Notlage des ausgeschlossenen Arztes erkennbar, da dieser seine vertragsärztliche Einzelpraxis in der hausärztlichen Versorgung weiter betreibe und auf diesem Wege weitere Einnahmen erzielen könne.
Landgericht Bochum, Urteil vom 02.02.2021 – I-8 O 17/21
https://is.gd/ydNl4b
Vergütungsrechtliche Einordnung von ärztlichem Hintergrunddienst als Rufbereitschaft oder Bereitschaftsdienst
Ob ärztlicher Hintergrunddienst nach § 9 des Tarifvertrags für Ärztinnen und Ärzte an Uni-versitätskliniken (TV-Ärzte/TdL) zu vergütende Rufbereitschaft oder Bereitschaftsdienst ist, hängt davon ab, ob der Arbeitgeber den Arbeitnehmer durch eine Vorgabe insbesondere hinsichtlich der Zeit zwischen Abruf und Aufnahme der Arbeit zwingt, sich an einem bestimmten Ort aufzuhalten und damit eine faktische Aufenthaltsbeschränkung vorgibt. Das gilt auch, wenn der ärztliche Hintergrunddienst mit einer Telefonbereitschaft verbunden ist.
Der als Oberarzt beschäftigte Kläger leistet im Rahmen seines Arbeitsverhältnisses, auf das der TV-Ärzte/TdL Anwendung findet, außerhalb seiner regelmäßigen Arbeitszeit sog. Hintergrunddienste. Während dieser Zeit ist er verpflichtet, telefonisch erreichbar zu sein. Weitere ausdrückliche Vorgaben hinsichtlich des Aufenthaltsortes oder der Zeitspanne, innerhalb derer er die Arbeit im Klinikum aufzunehmen hat, macht die beklagte Arbeitgeberin nicht. Sie vergütet die Hintergrunddienste gemäß § 9 Abs. 1 TV-Ärzte/TdL als Rufbereitschaft i.S.d. § 7 Abs. 6 S. 1 TV-Ärzte/TdL.
Der Arzt meint, die Hintergrunddienste seien aufgrund der mit ihnen verbundenen Beschränkungen sowie der Anzahl und des zeitlichen Umfangs der tatsächlichen Inanspruchnahmen Bereitschaftsdienst und als solcher zu vergüten. Das LAG hat dem Kläger für den Zeitraum etwa eines Jahres eine Vergütungsdifferenz von knapp 40.000,- € brutto zugesprochen.
Die hiergegen gerichtete Revision der Arbeitgeberin hatte Erfolg. Das BAG betrachtet den geleisteten Hintergrunddienst vergütungsrechtlich als Rufbereitschaft. Rufbereitschaft und Bereitschaftsdienst seien nach den tariflichen Definitionen danach zu unterscheiden, ob der Arbeitnehmer sich an einem bestimmten Ort aufhalten muss oder seinen Aufenthaltsort frei wählen kann. Maßgeblich sei der Umfang der vom Arbeitgeber angeordneten Aufenthaltsbeschränkung.
Auch bei der Rufbereitschaft sei der Arbeitnehmer allerdings in der Wahl seines Aufenthaltsortes nicht völlig frei. Er dürfe sich nur so weit vom Arbeitsort entfernt aufhalten, dass er die Arbeit dort alsbald aufnehmen kann. Dies sei in Bezug auf den streitgegenständlichen Hintergrunddienst noch der Fall. Mit der Verpflichtung, dienstliche Telefonanrufe anzunehmen und damit die Arbeit unverzüglich aufzunehmen, sei keine räumliche Aufenthaltsbeschränkung verbunden. Zeitvorgaben für die Aufnahme der Arbeit im Übrigen bestünden nicht. Dass unter Umständen nach einem Anruf zeitnah die Arbeit in der Klinik fortgesetzt werden muss, stehe im Einklang mit dem Wesen der Rufbereitschaft.
Allerdings untersage § 7 Abs. 6 S. 2 TV-Ärzte/TdL dem Arbeitgeber die Anordnung von Rufbereitschaft, wenn erfahrungsgemäß nicht lediglich in Ausnahmefällen Arbeit anfällt. Das treffe im entschiedenen Fall zu. Der Kläger werde in etwa der Hälfte der Hintergrunddienste zur Arbeit herangezogen und leiste lediglich zu 4 % aller Rufbereitschaftsstunden tatsächliche Arbeit. Dabei komme es entgegen der Ansicht des Betroffenen nicht nur auf die Arbeitseinsätze an, die in der Klinik fortzusetzen sind. In der Gesamtschau der Umstände habe die Klinik die geleisteten Hintergrunddienste nicht anordnen dürfen. Zu der von dem Arzt begehrten höheren Vergütung führe dies gleichwohl nicht. Ein bestimmter Arbeitsleistungsanteil sei nach dem Tarifvertrag weder dem Bereitschaftsdienst noch der Rufbereitschaft begriffsimmanent. Die Tarifvertragsparteien hätten damit für den Fall einer tarifwidrigen Anordnung von Rufbereitschaft bewusst keinen höheren Vergütungsanspruch vorgesehen. Diesen Willen müsse das erkennende Gericht respektieren.
Bundesarbeitsgericht, Urteil vom 25.03.2021 – 6 AZR 264/20
- offenbar bisher nicht veröffentlicht -
Zahlungsanspruch einer Klinik-Ärztin für wahlärztliche Leistungen bestätigt
Wahlärztliche Leistungen gelten als Leistungen des Krankenhauses, wenn ein (leitender) Krankenhausarzt sein ihm vertraglich eingeräumtes Liquidationsrecht zur Behandlung privat versicherter Patienten an das Krankenhaus abgetreten hat (sog. Beteiligungsmodell) oder die Ausübung des Liquidationsrechts im Rahmen des Anstellungsvertrages zur unmittelbaren Dienstaufgabe erklärt wird. Deshalb verstößt die vertragliche Regelung, wonach (auch) das Krankenhaus berechtigt ist, selbst wahlärztliche Leistungen angestellter bzw. verbeamteter Ärzte abzurechnen, nicht gegen § 134 BGB i.V.m. § 17 Abs. 3 KHEntgG.
Wahlleistungsvereinbarungen verstoßen bei der nach den §§ 133, 157 BGB gebotenen objektiven Auslegung nicht gegen §§ 305 ff. BGB und sind insbesondere hinreichend bestimmt, wenn die Benennung von 24 Wahlärzten nebst (teils mehreren) Stellvertretern der hochgradigen Spezialisierung des Krankenhauses geschuldet, hierin kein unzumutbarer Vorbehalt einer Leistungsänderung nach § 308 Nr. 4 BGB zu sehen und der Vertretungsfall ausdrücklich auf den Fall der unvorhergesehenen Verhinderung beschränkt ist. Die Formulierung „Ärzte des Krankenhauses“ ist so auszulegen, dass damit (nur) angestellte und verbeamtete Ärzte des Krankenhauses gemeint sind. Die schlichte Wiedergabe der einschlägigen gesetzlichen Regelung kann nicht nach § 307 Abs. 2 BGB beanstandet werden. Ein Hinweis auf das eigene Liquidationsrecht des Krankenhauses ist nicht irreführend, sondern klarstellend.
Oberlandesgericht Karlsruhe, Beschluss vom 18.01.2021 – 13 U 389/19
- veröffentlicht bei juris.de -
Zum sozialversicherungsrechtlichen Status von Honorarärzten im Bereich der SAPV
Ärzte für Palliativmedizin im Bereich der spezialisierten ambulanten Palliativversorgung (SAPV) können abhängig beschäftigt und daher versicherungspflichtig sein, auch wenn sie über sog. Honorarverträge ihre Leistungen abrechnen und nicht als abhängig Beschäftigte geführt werden. Für die Abgrenzung zwischen Selbständigkeit und abhängiger Beschäftigung für sog. Honorarärzte gelten die allgemeinen von der Rechtsprechung entwickelten Kriterien. Eine Bezeichnung als „Honorararzt“ hat sozialversicherungsrechtlich keine Bedeutung. Sie kennzeichnet sozialversicherungsrechtlich kein besonderes Tätigkeitsbild. Auch die Tatsache, dass sog. Honorararztverträge in der arbeitsgerichtlichen Rechtsprechung bisher überwiegend als freie Dienstverhältnisse qualifiziert werden, wirkt sich sozialversicherungsrechtlich nicht aus.
Es ist möglich, dass ein und derselbe Beruf – je nach konkreter Ausgestaltung der vertraglichen Grundlagen in ihrer gelebten Praxis – entweder in Form der Beschäftigung oder als selbstständige Tätigkeit ausgeübt wird. Maßgeblich sind stets die konkreten Umstände des individuellen Sachverhalts.
Landessozialgericht Bayern, Urteil vom 29.07.2020 – L 6 R 5130/17
https://is.gd/L6LhBi
Zur Beanstandung eines Bewertungseintrags bei Google
Die Bewertung eines Arztes auf einer Internet-Plattform, in der die Bewertungskriterien nicht aufgeschlüsselt werden, wird von dem angesprochenen Nutzerkreis als Gesamtbeurteilung verstanden, in die grundsätzlich beliebige Kriterien einfließen können. Der Nutzerkreis erwartet aber, dass eines dieser Kriterien immer die fachliche ärztliche Leistung ist, wenn sich nicht aus den weiteren Umständen – etwa aus einem Kommentar – etwas anderes ergibt.
Eine Arztbewertung ohne Kommentar (z.B. reine Beurteilung durch die Vergabe von Sternen) kann daher mit dem Verweis auf einen fehlenden fachlichen Kontakt als unzulässig beanstandet werden, wenn der Bewertete keine Erkenntnisse über den Urheber der Bewertung und deren Kontext hat, insbesondere wenn die Bewertung pseudonym abgegeben wurde. Der Betroffene muss sich dabei nicht – für den Host-Provider erkennbar spekulativ – auch dazu äußern, ob sich die Bewertung ausschließlich auf einen sonstigen, rein organisatorischen Kontakt, wie eine gescheiterte Terminvereinbarung oder die Freundlichkeit des Personals, beziehen könnte.
Oberlandesgericht Karlsruhe, Beschluss vom 6.7.2020 – 6 W 49/19
https://is.gd/CeHxv1
Angabe „Fachpraxis für Kieferorthopädie“ setzt Fachzahnarzttitel voraus
Ein Zahnarzt, dem es nicht erlaubt ist, die nach dem Weiterbildungsrecht einer Zahnärztekammer erworbene Bezeichnung „Fachzahnarzt für Kieferorthopädie“ zu führen, darf zahnärztliche Leistungen im geschäftlichen Verkehr auch nicht mit dem Hinweis „KFO-Fachpraxis“ und/oder „Fachpraxis für Kieferorthopädie“ bewerben. Dies betrifft beispielsweise die Verwendung solcher Begriffe auf dem Praxisschild oder in einer Stellenanzeige, die in nennenswertem Umfang auch von nicht Arbeitssuchenden gelesen werden kann.
Dagegen stellen die Begriffe „Zahnarzt für Kieferorthopädie“ und „Kieferorthopäde“ keine Begriffe dar, die den Durchschnittsverbraucher zwangsläufig zu dem Schluss verleiten, der Verwender verfüge über einen Fachzahnarzttitel „Kieferorthopädie“ im Sinne der Berufsordnung. Die Verwendung dieser Begriffe steht zum Beispiel mit der Qualifikation als Master of Science in Einklang und ist zumindest bei dem Träger eines solchen Titels nicht zu beanstanden.
Landgericht Aurich, Urteil vom 01.09.2020 – 3 O 25/20
https://is.gd/xGp24S
Sinupret-Werbung unzulässig
Eine Werbung, die einem Arzneimittel aus Sicht eines durchschnittlich informierten, aufmerksamen und verständigen Werbeadressaten eine therapeutische Wirksamkeit oder Wirkungen bei einer Anwendung am Menschen beimisst (hier eine entzündungshemmende und antivirale Wirkung bei der Behandlung von Patienten mit akuten, unkomplizierten Entzündungen der Nasennebenhöhlen), ist nach § 3 S. 1 und 2 Nr. 1 HWG irreführend und unzulässig, wenn sie nicht gesicherter wissenschaftlicher Erkenntnis entspricht, weil sie allein auf Angaben in der Fachinformation gestützt wird, wonach sich diese Wirkungen zwar bei Tests an tierischen Organismen (hier einer Rattenpfote) und außerhalb lebender Organismen (in vitro) gezeigt haben, aber bisher keine human-pharmakologischen Untersuchungen zur klinischen Relevanz dieser Ergebnisse vorliegen.
Bundesgerichtshof, Urteil vom 05.11.2020 – I ZR 204/19
https://is.gd/CBmJhO