Klinik haftet für Fehler einer Pflegekraft
Verstößt eine Krankenschwester gegen die mündlich erteilte Weisung, ein noch nicht befundetes EKG vorn in die Patientenakte zu legen, und vermerkt sie die Anfertigung des EKGs ebenfalls weisungswidrig auch nicht in der Patientenakte, so dass für den Oberarzt nicht erkennbar ist, dass ein aktuelles EKG vorliegt, so ist dieses fahrlässige Handeln der Krankenschwester dem Krankenhausträger nach § 278 BGB bzw. § 831 BGB zuzurechnen.
Erleidet die Patientin in der Folge einen Herz-Kreislauf-Stillstand, weil der behandelnde Arzt in Unkenntnis des aktuellen EKGs die falschen Maßnahmen ergreift, haftet die Klinik für die Folgen.
Schon eine bloße Mitverursachung reicht aus, um einen Ursachenzusammenhang zu bejahen.
Ein eindeutiger, fundamentaler Verstoß gegen eine interne Regelung einer Klinik, die zum Schutz der Patienten eine zeitnahe ärztliche Befundung erhobener Befunde gewährleisten soll (hier: unverzügliche Vorlage eines ohne ärztliche Anweisung geschriebenen EKGs in die Patientenakte), der einer Pflegekraft schlechterdings nicht unterlaufen darf, führt zur Beweislastumkehr hinsichtlich der Kausalität.
Auf die zeitnah unterbliebene Vorlage des EKGs in die Patientenakte sind die Grundsätze über den Befunderhebungsfehler entsprechend heranzuziehen.
Oberlandesgericht München, Urteil vom 06.08.2020 – 24 U 1360/19
https://is.gd/79YXVS
Zum Verantwortungsumfang eines Konsiliararztes
Wird ein Facharzt (hier ein Augenarzt) von einem anderen Arzt konsiliarisch hinzugezogen, bleibt der ursprüngliche Behandler für die Gesamtbehandlung verantwortlich. Der Konsiliararzt haftet nicht dafür, dass der behandelnde Arzt seine Empfehlungen nicht oder verspätet umsetzt. Die Organisations- und Koordinationsverantwortung bleibt beim überweisenden Arzt.
Ein Konsiliararzt ist grundsätzlich nicht verpflichtet, bei ausbleibender weiterer Anforderung eigenständig zum Patienten Kontakt aufzunehmen, um den Behandlungsverlauf zu überprüfen. Er darf sich darauf verlassen, dass der überweisende Arzt seinen Empfehlungen folgt. Einer Rückfrage bedarf es regelmäßig nicht. Der Konsiliararzt muss auch keinen „Fristenkalender“ führen.
Oberlandesgericht Hamm, Urteil vom 30.10.2020 – I-26 U 131/19
https://is.gd/H0MhR7
„3-Jahres-Rechtsprechung“ des BSG: Ausnahme statuiert
Ein Vertragsarzt kann auf seine Zulassung verzichten, um sich in einem MVZ, einer BAG oder bei einem Arzt anstellen zu lassen. Allerdings muss das zu begründende Anstellungsverhältnis dann grundsätzlich auf eine Dauer von wenigstens drei Jahren ausgerichtet sein. Beendet der angestellte Arzt die Angestelltentätigkeit vor dem Ablauf dreier Jahre, erlischt für gewöhnlich das Recht zur Nachbesetzung des hälftigen Angestelltensitzes für den Arbeitgeber (Übernehmer der Zulassung). Dies gilt jedoch ausnahmsweise nicht, wenn die vorzeitige Beendigung der Tätigkeit auf der Möglichkeit eines beruflichen Aufstiegs innerhalb der vertragsärztlichen Versorgung beruht.
Eine Hausärztin mit hälftigen Versorgungsauftrag verzichtete zugunsten ihrer Anstellung in einem MVZ auf ihre Zulassung und brachte diese so in das MVZ ein. Bereits neun Monate später kündigte die Ärztin ihr Anstellungsverhältnis wieder, da sie ein Angebot eines anderen MVZ über eine Vollzeitanstellung entsprechend ihrer eigentlichen fachlichen Spezialisierung (Endokrinologie) erhalten hatte. Dem MVZ wurde die Nachbesetzung der Arztstelle verwehrt.
Hiergegen erhob das MVZ erfolgreich Klage. Wie das Gericht feststellte, hatte die Ärztin im Moment des Verzichts auf ihre hälftige Zulassung zum Zwecke der Anstellung beim MVZ die Absicht, die Tätigkeit dort für mehr als drei Jahre auszuüben. Allerdings hätten dann nachvollziehbare und wichtige Gründe der Berufsplanung die Ärztin Monate später zur Beendigung des Anstellungsverhältnisses veranlasst. Das Angebot der neuen Anstellung auf einem vollen Angestelltensitz an einem anderen MVZ sei unerwartet gekommen. Die Möglichkeit zur Aufstockung ihrer Tätigkeit auf eine volle Stelle und die Gelegenheit, künftig auf ihrem Spezialgebiet tätig zu sein, wollte das Gericht der Ärztin nicht verwehren.
Sozialgericht Berlin, Urteil vom 30.9.2020 – S 87 KA 155/18
- bisher offenbar nicht veröffentlicht -
§ 32 Abs. 2 Ärzte-ZV: Auch 14-Jährige sind noch Kinder
Das Recht einer Vertragsärztin, während der Kindeserziehung einen Entlastungsassistenten zu beschäftigen, endet erst dann, wenn das Kind volljährig geworden ist. Einer Ärztin ist daher die Einstellung einer Entlastungsassistentin auch dann zu genehmigen, wenn ein Sohn der Antragstellerin bereits älter als 14 Jahre ist. Die KV hatte einen entsprechenden Antrag mit der Begründung abgelehnt, dass ein 14-Jähriger kein „Kind“ mehr sei im Sinne des § 32 Abs. 2 S. 2 Nr. 2 Ärzte-ZV sei. Dagegen setzte sich die Frauenärztin erfolgreich auf dem Klageweg zur Wehr.
Landessozialgericht Niedersachsen-Bremen, Urteil vom 28.10.2020 – L 3 KA 31/20
https://is.gd/N6UJj8
Ausgelagerte Praxisräume in 68 km Entfernung sind unzulässig
Ausgelagerte Praxisräume müssen sich nach § 24 Abs. 5 Ärzte-ZV „in räumlicher Nähe zum Vertragsarztsitz“ befinden.
Der Begriff der räumlichen Nähe ist ein unbestimmter Rechtsbegriff, der in der Ärzte-ZV nicht weiter konkretisiert wird. Räumliche Nähe im Sinne des § 24 Abs. 5 Ärzte-ZV kann bereits anzuzweifeln sein, wenn die Entfernung der ausgelagerten Räume zum Vertragsarztsitz mehr als 9 km bzw. 11 km beträgt. Bei einer Distanz von fast 68 km ist der Tatbestand der Vorschrift jedenfalls nicht erfüllt.
Vielmehr ist eine restriktive Auslegung des Entfernungsbegriffs geboten. Entfernungen von mehr als 30 km sind auch in ländlichen Regionen nicht hinnehmbar. Die Vorgabe, dass die ausgelagerten Räumlichkeiten innerhalb von 30 Minuten mit dem Auto erreichbar sein müssen, erscheint eher als eine sehr großzügig gehaltene äußerste Grenze.
Im Zusammenhang mit der Beurteilung der zulässigen Entfernung nicht relevant ist, in welchem zeitlichen Umfang der Vertragsarzt in den ausgelagerten Räumlichkeiten tätig zu werden gedenkt.
Landessozialgericht Berlin-Brandenburg, Urteil vom 09.12.2020 - L 24 KA 6/18
https://openjur.de/u/2316808.html
Schmerztherapie-Vereinbarung: Zum Nachweis der „fachlichen Befähigung“
Der Antrag eines Anästhesisten auf Genehmigung der Teilnahme an der "Vereinbarung von Qualitätssicherungsmaßnahmen nach § 135 Abs. 2 SGB V zur schmerztherapeutischen Versorgung chronisch schmerzkranker Patienten" (Schmerztherapie-Vereinbarung) darf nicht mit der Begründung abgelehnt werden, dass er seine 12-monatige Vorbereitungstätigkeit nicht in einer förmlich nach Anlage 1 der Schmerztherapie-Vereinbarung anerkannten Einrichtung absolviert hat.
§ 4 Abs. 3 Nr. 1 S. 1 der Schmerztherapie-Vereinbarung verlangt den Nachweis einer ganztägigen, 12-monatigen Tätigkeit in einer qualifizierten Schmerzpraxis, Schmerzambulanz oder einem Schmerzkrankenhaus. Dabei muss es sich nicht um eine förmlich „anerkannte“ Einrichtung handeln. Die Norm stellt auf die Qualifikation (und nicht auf die förmliche Anerkennung) der Einrichtung ab.
Sozialgericht Düsseldorf, Urteil vom 02.12.2020 – S 7 KA 228/19
https://is.gd/PIB18U
Zulassungsentziehung wegen unterlassener Abrechnung bestätigt
Ein zur vertragsärztlichen Versorgung zugelassener Facharzt für Innere Medizin legte der KV über mehrere Jahre hinweg keine bzw. nur noch unvollständige Abrechnungen vor. Die Behandlung seines lebensbedrohlich erkrankten Bruders als einzigem Verwandten habe ihm keine Zeit für administrative Tätigkeiten gelassen. Als sich der Gesundheitszustand seines Bruders gebessert habe, habe er feststellen müssen, dass seine Praxis-EDV Abrechnungsquartale nicht habe überspringen können. Daher könne er keine aktuellen Abrechnungen mehr einreichen. Dokumente in großer Zahl (Rezepte, Überweisungen, Einweisungen, AU-Bescheinigungen usw.) belegten jedoch, dass er seine vertragsärztliche Tätigkeit niemals eingestellt habe. Pro Quartal habe er etwa 400 bis 500 gesetzlich versicherte Patienten pro Quartal behandelt, deren gesamte Leistungsdaten aber der KV und den Krankenkassen vorenthalten.
Gegen die deswegen erfolgte Zulassungsentziehung klagte der Arzt vergeblich. Wie das Berufungsgericht ausführte, gehört die sog. peinlich genaue Abrechnung zu den Grundpflichten eines Vertragsarztes und zum Kernbereich der vertragsärztlichen Tätigkeit. Gegen diese Pflicht verstößt nicht nur, wer nicht erbrachte Leistungen zu Unrecht abrechnet, sondern auch derjenige, der tatsächlich erbrachte Leistungen und Leistungsfälle nicht oder nicht vollständig abrechnet.
Erst mit der Abrechnung der erbrachten Leistungen wird eine Überprüfbarkeit der ärztlichen Behandlungs- und Verordnungsweise in den gesetzlich vorgesehenen Verfahren gewährleistet. Nur sie ermöglicht auch eine gerechte Kostenverteilung unter den Krankenkassen entsprechend der von ihren jeweiligen Mitgliedern in Anspruch genommenen Leistungen. Unerlässlich ist die genaue Abrechnung schließlich auch im Verhältnis zu den übrigen Vertragsärzten. Der Vertragsarzt, der seine gesetzlich versicherten Patienten ohne eine Abrechnung gegenüber der KV behandelt, verschafft sich einen Wettbewerbsvorteil gegenüber den übrigen Vertragsärzten. Er verfälscht die statistischen Daten, an denen die Wirtschaftlichkeit ihrer Arbeitsweise und der Umfang und Inhalt der vertragsärztlichen Versorgung insgesamt gemessen wird.
Landessozialgericht Nordrhein-Westfalen, Urteil vom 09.09.2020 – L 11 KA 32/19
https://is.gd/lZtq28
Hinweis: Nichtzulassungsbeschwerde unter dem Az. B 6 KA 41/20 B anhängig.
Belegarzt-Tätigkeit muss dauerhaft ernsthaft beabsichtigt sein
Eine belegärztliche Sonderbedarfszulassung nach § 103 Abs. 7 SGB V kann entzogen werden, wenn sich herausstellt, dass die belegärztliche Tätigkeit nur pro forma ausgeübt wird und gegenüber der vertragsärztlichen ambulanten Tätigkeit faktisch völlig in den Hintergrund tritt.
Einem Kardiologen standen als Belegarzt durchgehend 15 Krankenhaus-Belegbetten zur Verfügung. Innerhalb eines 3-jährigen Zeitraums behandelte er jedoch insgesamt lediglich 76 Patienten belegärztlich, während er knapp 15.000 Patienten vertragsärztlich behandelte. Im Durchschnitt wurde nur alle zwei Wochen ein Patient von ihm belegärztlich behandelt. Angesichts dessen wurde dem Arzt die belegärztliche Sonderbedarfszulassung entzogen.
Die Gerichte bestätigten diese Entscheidung. Im Zeitpunkt der Entziehung habe eine der Voraussetzungen für die Erteilung der Sonderbedarfszulassung – nämlich die vom Kläger ernsthaft beabsichtigte belegärztliche Tätigkeit – nicht (mehr) vorgelegen (§ 95 Abs. 6 SGB V). Trotz einer für sich genommen ausreichenden Anzahl an Belegbetten sei eine missbräuchliche Nutzung der belegärztlichen Sonderbedarfszulassung festzustellen gewesen, weil der Belegarzt über einen längeren Zeitraum so gut wie ausschließlich vertragsärztliche Behandlungen durchgeführt habe, ohne aus gesundheitlichen oder sonstigen in der Person liegenden schwerwiegenden Gründen an der Ausübung der belegärztlichen Tätigkeit gehindert zu sein. Bei dem gegebenen (Miss-)Verhältnis zwischen vertrags- und belegärztlicher Tätigkeit sei ersichtlich nicht mehr davon auszugehen, dass die Ernsthaftigkeit der Belegarzttätigkeit weiterhin durch die zwar ausreichende Anzahl, im Ergebnis aber weitestgehend ungenutzten Belegbetten noch indiziert wird.
Landessozialgericht Niedersachsen-Bremen, Urteil vom 28.10.2020 – L 3 KA 25/20
https://is.gd/t0pr3f
Hinweis: Nichtzulassungsbeschwerde unter dem Az. B 6 KA 49/20 B anhängig.
Entziehung der ganzen Zulassung nach Fortbildungspflichtverletzung zulässig
Der Verstoß gegen die Pflicht zur fachlichen Fortbildung nach § 95d SGB V über den gesamten gesetzlich geregelten Zeitraum von insgesamt sieben Jahren einschließlich der zu setzenden, bereits mit Honorarkürzungen verbundenen Nachfrist von zwei Jahren stellt nach dem ausdrücklichen Willen des Gesetzgebers und der ständigen Rechtsprechung unabhängig von einem Verschulden des Vertragsarztes einen gröblichen Verstoß gegen vertragsärztliche Pflichten dar, der grundsätzlich die Entziehung der Zulassung als gebundene Entscheidung nach sich zieht. Die vorgesehenen Sanktionen stehen vor dem Hintergrund des Zwecks der Fortbildungspflicht, die Qualität der vertragsärztlichen Versorgung zu sichern, mit der Berufsfreiheit aus Art. 12 Abs. 1 GG im Einklang.
Hat ein Arzt weder die Fünfjahresfrist noch – trotz parallel erfolgter Honorarkürzungen – die Zweijahresfrist genutzt, um die erforderlichen Fortbildungspunkte zu sammeln, kann er die fehlende oder lückenhafte Fortbildung auch nicht mehr nachholen, sodass ihm die Zulassung zur vertragsärztlichen Versorgung zu entziehen ist.
Unverhältnismäßig könnte eine auf die Verletzung der Fortbildungspflicht gestützte Zulassungsentziehung allenfalls etwa dann sein, wenn der vorgegebene Fortbildungsnachweis nur um wenige Stunden (bzw. Punkte) verfehlt wird.
Landessozialgericht Hamburg, Urteil vom 19.11.2020 – L 5 KA 24/17
https://is.gd/aqvgUp
Hinweis: Nichtzulassungsbeschwerde unter Az. B 6 KA 42/20 B anhängig.
Zum Widerruf einer Erlaubnis zur vorübergehenden Ausübung des Arztberufs
1. Eine nach § 10 Abs. 3 BÄO über den Zeitraum von 2 Jahren hinaus verlängerte Erlaubnis zur vorübergehenden Ausübung des ärztlichen Berufs kann nur unter den Voraussetzungen des § 5 Abs. 2 BÄO (und nicht unter Berufung auf das einschlägige VwVfG) widerrufen werden.
2. Eine für die Dauer von bis zu 2 Jahren erteilte Erlaubnis zur vorübergehenden Ausübung des ärztlichen Berufs kann nach § 10 Abs. 2 S. 2 BÄO i.V.m. § 49 Abs. 2 S. 1 Nr. 1 VwVfG widerrufen werden, wenn dies dem Zweck der Widerrufsermächtigung entspricht, ein sachlicher Grund vorliegt und das Widerrufsermessen rechtsfehlerfrei ausgeübt wird.
3. Im Hinblick auf die schwerwiegenden Folgen für die Berufsausübungsfreiheit (Art. 12 GG) wird sich die gesundheitliche Ungeeignetheit eines Arztes im Sinne des § 3 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 BÄO – von evidenten Fällen abgesehen – in der Regel nur anhand eines amts- oder fachärztlichen Gutachtens zweifelsfrei feststellen lassen.
4. Der Widerruf einer Erlaubnis zur vorübergehenden Ausübung des ärztlichen Berufs ist ein schwerwiegender Eingriff in die Berufsausübungsfreiheit. Soll er auf den noch nicht abschließend geklärten Verdacht einer gesundheitlichen Ungeeignetheit gestützt werden, muss eine nicht anders abwendbare Patientengefährdung vorliegen, die sich schon während des für eine Sachverhaltsaufklärung nötigen Zeitraums zu verwirklichen droht.
Oberverwaltungsgericht der Freien Hansestadt Bremen, Beschluss vom 08.01.2021 – 2 PA 270/2
https://is.gd/19Ow18
Verurteilung nach Zwillings-Tötung bestätigt
Der BGH hat die Verurteilung zweier Geburtsmediziner wegen gemeinschaftlichen Totschlags (in minder schwerem Fall) bestätigt.
Auch nach Auffassung des BGH stellt die Tötung des lebensfähigen schwer geschädigten Zwillings ein strafbares Tötungsdelikt und nicht lediglich einen bei entsprechender Indikation straffreien Schwangerschaftsabbruch dar. Die Regeln über den Schwangerschaftsabbruch gelten nur bis zum Beginn der Geburt. Die Geburt beginnt bei einer Entbindung mittels Kaiserschnitt mit der Eröffnung der Gebärmutter, wenn das Kind damit vom Mutterleib getrennt werden soll. Dies gilt unabhängig davon, ob ein Kind oder mehrere Kinder betroffen sind.
Aufgrund von Schwangerschaftskomplikationen entwickelte ein Zwilling schwere Hirnschäden, sodass die Indikation für einen bis zur Geburt straffreien Schwangerschaftsabbruch nach § 218a Abs. 2 StGB gestellt wurde. Der andere Zwilling entwickelte sich überwiegend normal. Die Mutter suchte eine Klinik auf, in der das zu dieser Zeit gebräuchliche Verfahren zum selektiven Abbruch einer Zwillingsschwangerschaft nicht angewendet wurde. Stattdessen entbanden die Ärzte dort mittels Kaiserschnitt zunächst das gesunde Kind und töteten anschließend den lebensfähigen, aber schwer hirngeschädigten Zwilling durch Injektion einer Kaliumchlorid-Lösung. Dabei war ihnen bewusst, dass sie sich über geltendes Recht hinwegsetzen und einen Menschen töten würden.
Der BGH hob die gegen die beteiligten Ärzte verhängten Strafen auf, weil ihnen zur Last gelegt wurde, dass sie die Tat geplant und nicht in einer Notfallsituation begangen haben. Dieser Gesichtspunkt sei bei einer medizinischen Operation aber kein zulässiger Erschwerungsgrund. Während der Schuldspruch wegen Totschlags rechtskräftig ist, muss über die Höhe der Strafen noch einmal neu verhandelt werden.
Bundesgerichtshof, Beschluss vom 11.11.2020 – 5 StR 256/20
https://is.gd/3DiRNB
Ärztin nach Beschreibung von Schwangerschaftsabbrüchen auf Homepage verurteilt
Enthält die Homepage einer Ärztin Informationen nicht nur darüber, dass sie in der Praxis Schwangerschaftsabbrüche durchführt, sondern auch Informationen über das „wie“, kann sich die Ärztin im Falle einer Anklage nicht auf die in § 219a Abs. 4 StGB geregelte Ausnahme von der Strafbarkeit berufen.
Eine Gießener Ärztin erläuterte auf ihrer Homepage neben der Tatsache, dass in ihrer Praxis Schwangerschaftsabbrüche durchgeführt werden, auch die hierfür verwendeten Methoden und gab über den gesamten Ablauf der konkreten Maßnahmen Auskunft. Unter anderem hieß es dort: „Wir führen alle drei Methoden (medikamentös, chirurgisch mit örtlicher Betäubung, chirurgisch mit Vollnarkose) des Schwangerschaftsabbruchs auf Kostenübername oder für Privatzahlerinnen durch.“ Die unterschiedlichen Methoden des medikamentösen und des chirurgischen Schwangerschaftsabbruchs werden detailliert beschrieben, einschließlich möglicher Nebenwirkungen und Komplikationen. Infolgedessen wurde die Ärztin wegen Werbung für den Abbruch der Schwangerschaft (§ 219a StGB) zu einer Geldstrafe verurteilt.
Oberlandesgericht Frankfurt a.M., Beschluss vom 22.12.2020 – 1 Ss 96/20
https://is.gd/yWva0j
Ärzte müssen über eigene Unzulänglichkeiten aufklären
Ein Arzt ist zur Aufklärung über solche in seiner Person liegenden Risiken verpflichtet, die Einfluss auf die sachgerechte Durchführung der ärztlichen Heilbehandlung haben können. Unterlässt er diese gebotene Aufklärung, macht er sich auch dann (je nach Fall einer vorsätzlichen oder irrtumsbedingt fahrlässigen Körperverletzung) strafbar, wenn er die Behandlung sachgerecht ausführt.
Ein nach einem Schlaganfall unter Störungen der Grobmotorik, der Feinmotorik und der Koordination leidender ein Arzt führte Kataraktoperationen durch, ohne die Patienten über seine gesundheitlichen Einschränkungen aufzuklären. Das Gericht sah hierdurch den Körperverletzungstatbestand erfüllt.
Die Verletzung des Tatbestandes sei auch nicht durch Einwilligungen der Geschädigten in die Operationen gerechtfertigt, da diese von den gesundheitlichen Beeinträchtigungen des angeklagten Arztes gar nichts wussten. Erteilte Einwilligungen seien wegen Willensmängeln unwirksam gewesen.
Landgericht Kempten, Urteil vom 08.10.2020 – 3 Ns 111 Js 10508/14
https://is.gd/rGD0sb
Stellvertretender Chefarzt als Whistleblower: Kündigung zulässig
Der EGMR hat die Kündigung eines ehemaligen stellvertretenden Chefarztes für rechtmäßig erklärt. Der Whistleblower habe den Verdacht einer schweren Straftat seines Vorgesetzten direkt bei der Staatsanwaltschaft angezeigt, ohne zuvor ausreichend sorgfältig zu prüfen, ob die Informationen „zutreffend und zuverlässig“ waren.
Der Arzt war während seiner Tätigkeit auf Hinweise gestoßen, dass mehrere Patienten nach einer Morphingabe verstorben waren, und hatte den vermeintlichen Fall verbotener Sterbehilfe unmittelbar zur Anzeige gebracht, ohne sich zuvor intern um Klärung zu bemühen. Es kam zu einem später eingestellten Ermittlungsverfahren gegen den Chefarzt wegen Tötung auf Verlangen. Dem Whistleblower wurde fristlos gekündigt. Er berief sich jedoch darauf, in seinem Recht auf freie Meinungsäußerung verletzt zu sein.
Der EGMR entschied, dass die Entlassung angesichts der negativen Auswirkungen auf den Ruf der Klinik und des Chefarztes gerechtfertigt war. Der Eingriff in die Rechte des Gekündigten sei verhältnismäßig gewesen. Zwar habe der Arzt nicht aus unlauteren Motiven gehandelt. Angesichts der Schwere der Vorwürfe hätte er die Fakten jedoch gründlicher prüfen müssen.
Europäischer Gerichtshof für Menschenrechte, Urteil vom 16.2.2021 – Rechtssache Nr. 23922/19 (Gawlik gegen Liechtenstein)
https://is.gd/tFYk0j
Klinik darf Behandlung ohne vorherigen Corona-Test verweigern
Lehnt eine Patientin die Testung auf SARS-CoV-2 ab, ist die Klinik berechtigt, ihr die (nicht dringend oder notfallmäßig gebotene) Krankenhausbehandlung und die stationäre Aufnahme zu verweigern.
Landgericht Dortmund, Beschluss vom 4.11.2020 – 4 T 1/20
https://is.gd/tYD0Kp
Vorübergehendes Berufsausübungsverbot für Zahnarzthelferin nach Corona-Quarantäne zunächst bestätigt
Das Vorgehen einer Zahnarzthelferin, die als Kontaktperson der Kategorie I entsprechend den Regelungen der AV Isolation vom 02.12.2020 eine 14-tägige Quarantäne durchlaufen und danach keinen negativen Corona-Test vorgelegt hat, im Wege des vorläufigen Rechtsschutzes gegen eine Untersagung der Berufsausübung für 10 Tage ist erfolglos geblieben.
Das Landratsamt hat ein berufliches Tätigkeitsverbot nach § 31 IfSG gegenüber der Zahnarzthelferin ausgesprochen. Das Ergreifen dieser Maßnahme ist unter den Voraussetzungen des § 28 Abs. 1 S. 1 Hs. 1 IfSG möglich. Liegen diese vor, hat die zuständige Behörde Schutzmaßnahmen zu treffen, und zwar insbesondere die in § 28a Abs. 1 IfSG und in den § 29 bis 31 IfSG genannten Maßnahmen. Nach § 28 Abs. 3 IfSG gilt die Vorschrift des § 16 Abs. 8 IfSG entsprechend. Danach haben Widerspruch und Klage keine aufschiebende Wirkung, weshalb sich vorliegend die sofortige Vollziehbarkeit der streitgegenständlichen Untersagung der Ausübung des ärztlichen Berufs unmittelbar aus dem Gesetz ergibt. Einer gesonderten behördlichen Anordnung des Sofortvollzugs bedurfte es damit nicht. Auch die sofortige Vollziehbarkeit der Zwangsgeldandrohung in Nr. 3 des streitgegenständlichen Bescheids folgte aufgrund einer gesetzlichen Regelung, nämlich aufgrund des Art. 21a Satz 1 VwZVG.
Obwohl die Zahnarzthelferin bei der Zahnsteinbehandlung einer Corona-infizierten Patientin Schutzkleidung – insbesondere eine FFP2-Maske sowie ein Gesichtsvisier – trug, wurde sie durch den Kontakt eine ansteckungsverdächtige Person. Im Rahmen einer zahnärztlichen Behandlung besteht ein besonderes Infektionsrisiko – und zwar auch dann, wenn Schutzkleidung getragen wird. Bei der Behandlung besteht ein äußerst enger Kontakt und es liegt auf der Hand, dass trotz des Tragens von Schutzkleidung ein Kontakt mit Körperflüssigkeiten aus dem Mund- und Rachenbereich stattfindet.
Die gerichtlich vorzunehmende Interessenabwägung fiel zulasten der Zahnarzthelferin aus. Aufgrund der dramatischen Entwicklung des Infektionsgeschehens musste das Interesse der Antragstellerin an der sofortigen Wiederaufnahme ihrer beruflichen Betätigung hinter dem Gesundheitsschutz der Allgemeinheit zurücktreten – zumal es die Betroffene selbst in der Hand gehabt hätte, eine Untersagung der beruflichen Betätigung zu verhindern. Sie hätte lediglich ihre persönliche Einschätzung, das Virus nicht weiterverbreiten zu können, durch einen Corona-Test bestätigen lassen müssen.
Verwaltungsgericht Regensburg, Beschluss vom 22.12.2020 – RN 14 S 20.3125
- veröffentlicht bei juris.de -
Kein Anspruch auf eine unverzügliche Corona-Schutzimpfung für 85-jährigen Dialysepatienten
Ein etwaiger einfachgesetzlicher Anspruch auf eine Schutzimpfung gegen das Coronavirus SARS-CoV-2 aus § 20 Abs. 5 S. 1 IfSG oder aus § 1 Abs. 1 CoronaImpfV besteht genauso wie der verfassungsrechtliche Leistungs- und Teilhabeanspruch aus Art. 2 Abs. 2 S. 1 und Art. 3 Abs. 1 GG nur im Rahmen der aktuell tatsächlich zur Verfügung stehenden Kapazitäten.
Gegen eine Priorisierung bei der Vergabe aktuell zur Verfügung stehender Impfdosen, die an der Empfehlung der Ständigen Impfkommission ausgerichtet ist, bestehen – jedenfalls nach der im einstweiligen Rechtsschutzverfahren einzig möglichen und gebotenen summarischen Prüfung – keine grundsätzlichen Bedenken.
Es stellt gegenüber Angehörigen der Gruppe der Personen im Alter von mehr als 80 Jahren, die in häuslicher Umgebung wohnen, keine ungerechtfertigte Ungleichbehandlung dar, dass vorhandener Impfstoff zunächst primär durch die mobilen Impfteams in Alten- und Pflegeheimen eingesetzt wird.
Ein Abweichen von der vorskizzierten Priorisierung kann ausnahmsweise im Einzelfall – auch und gerade mit Blick auf Art. 3 Abs. 1 GG –in Betracht kommen. Ein solcher Ausnahmefall (hier: für einen 85-jährigen Dialysepatienten) im Sinne eines Anspruchs auf eine bevorzugte Schutzimpfung bei Vorliegen eines atypischen (Härte-)Falles kann aber nur dann gerechtfertigt sein, wenn die grundsätzliche Priorisierung unter Zugrundelegung der Empfehlung der Ständigen Impfkommission diesem nicht gerecht würde. Die Empfehlung der Ständigen Impfkommission berücksichtigt sowohl das Alter als auch die Vorerkrankung einer chronischen Nierenerkrankung als risikoerhöhende Faktoren.
Verwaltungsgericht Gelsenkirchen, Beschluss vom 25.01.2021 – 20 L 79/21
https://is.gd/j7Iqd1
Zuzahlung zur FFP2-Maske ist verpflichtend
Nach der seit dem 15.12.2020 geltenden Coronavirus-Schutzmasken-Verordnung können Personen mit einem signifikant erhöhten Risiko für einen schweren Verlauf einer Corona-Erkrankung mit einem Berechtigungsschein von Januar bis April 2021 zwei Mal sechs FFP2-Schutzmasken in Apotheken abholen. Dabei hat jede anspruchsberechtigte Person laut § 6 SchutzmV an die abgebende Apotheke eine Eigenbeteiligung in Höhe von 2 € je Abgabe von sechs Schutzmasken zu leisten.
Apotheken, die FFP2-Masken nach der Coronavirus-Schutzmasken-Verordnung an Berechtigte abgeben, müssten die Eigenbeteiligung bei den Bürgern einziehen und dürften nicht darauf verzichten. Wettbewerbswidrig und daher unzulässig ist es, wenn eine Apotheke die Eigenbeteiligung für die Bürger übernimmt. Auch die Bewerbung dieser Praxis ist folglich rechtswidrig.
Landgericht Düsseldorf, Urteil vom 10.02.2021 – 34 O 4/21
- offenbar bisher nicht veröffentlicht -