Von D-Ärzten hinzugezogene Fachärzte können persönlich für Diagnosefehler haften
Nach einem Arbeitsunfall stellte sich ein Patient mit persistierenden Schmerzen in der rechten Schulter bei einem Durchgangsarzt vor, der als Erstdiagnose nach dem Unfall eine Schulterzerrung vermerkte und die besondere Heilbehandlung durch sich selbst anordnete. Zum Ausschluss des Verdachts auf das Vorliegen einer Rotatorenmanschettenruptur überwies er den Patienten an eine Gemeinschaftspraxis, deren Ärzte keine Durchgangsärzte sind. Nach einer Kernspintomographie des Schultergelenks schloss ein Arzt dieser GP das Vorliegen einer Sehnenruptur aus. Daraufhin erfolgte die Behandlung durch den D-Arzt aufgrund der Zerrungsdiagnose. Eine später wegen anhaltender Beschwerden durchgeführte MRT-Untersuchung in der GP zeigte einen subtotalen Abriss der Supraspinatussehne am Tuberculum majus. Die defekte Rotatorenmanschette wurde operativ versorgt.
Der Patient machte geltend, die Ruptur der Rotatorenmanschette sei bereits auf dem Kernspintomogramm eindeutig erkennbar gewesen, aber grob behandlungsfehlerhaft verkannt worden. Während der monatelangen Verzögerung der OP habe er unter erheblichen Schmerzen gelitten. Seine Klage wurde zunächst wegen fehlender Passivlegitimation der GP abgewiesen. Erst der BGH stellte fest, dass der Arzt der beklagten GP nicht in Ausübung eines öffentlichen Amts tätig wurde und daher eine Haftung der GP für einen etwaigen Diagnosefehler in Betracht kommt.
Auch für hinzugezogene Ärzte gelte der Grundsatz, dass die ärztliche Heilbehandlung regelmäßig nicht Ausübung eines öffentlichen Amtes im Sinne von Art. 34 GG erfolgt und die ärztliche Behandlung nach einem Arbeitsunfall keine dem Unfallversicherungsträger obliegende Pflicht darstellt, so der BGH. Die hoheitliche Tätigkeit des D-Arztes sei mit der Entscheidung der Anordnung der besonderen Heilbehandlung nach Durchführung der Erstuntersuchung und Erstdiagnose beendet gewesen. Die Entscheidung für nachfolgende Maßnahmen zur Absicherung der Diagnose und darauf gestützte Entscheidungen über den weiteren Verlauf der besonderen Heilbehandlung seien dann bereits Teil der Heilbehandlung und damit privatrechtlicher Natur gewesen.
Bundesgerichtshof, Urteil vom 10.3.2020 – VI ZR 281/19
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Beweisfragen zu Inhalt und Umfang der ärztlichen Aufklärungspflicht können Gegenstand eines selbständigen Beweisverfahrens nach § 485 Abs. 2 ZPO sein
Der Zulässigkeit dieser Fragen steht nicht entgegen, dass der Antragsteller es jeweils ins Ermessen des Gerichts gestellt hat, dem Sachverständigen durch die Beifügung bestimmter Erläuterungen zu verdeutlichen, welche der aus medizinischer Sicht bestehenden Risiken oder Behandlungsalternativen für die juristische Beurteilung des Inhalts der Aufklärungspflicht relevant sind. Zwar bestimmt der Antragsteller in eigener Verantwortung durch seinen Antrag auf Einleitung eines selbständigen Beweisverfahrens den Gegenstand der Beweisaufnahme. Dies schließt aber nicht aus, dass es der Antragsteller dem Gericht überlässt, ob es bestimmte – vom Antragsteller bereits formulierte – Erläuterungen für den Sachverständigen zur Präzisierung der vom Antragsteller gewünschten Feststellungen und zur Leitung der Tätigkeit des Sachverständigen (§ 492 Abs. 1, § 404a Abs. 1 ZPO) für erforderlich hält. Es steht dem Gericht frei, innerhalb der Grenzen des vom Antragsteller vorgegebenen Beweisthemas unklare oder missverständliche Formulierungen des Antragstellers im Beweisbeschluss klarzustellen oder die vom Antragsteller formulierten Beweisfragen aufgrund von Ausführungen des Antragstellers in seiner Begründung zu konkretisieren oder zu ergänzen.
Bundesgerichtshof, Beschluss vom 19.05.2020 – VI ZB 51/19
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Zur Substantiierungspflicht des Patienten im arzthaftungsrechtlichen Berufungsverfahren
Fußt eine angefochtene Entscheidung auf einem gerichtlichen Sachverständigengutachten, setzt die gebotene Auseinandersetzung mit den Entscheidungsgründen voraus, dass der Patient konkrete Anhaltspunkte benennt, die Zweifel an der Richtigkeit und Vollständigkeit der Tatsachenfeststellungen begründen und deshalb eine erneute Feststellung gebieten (§ 520 Abs. 3 Nr. 3 ZPO). Dies bedingt notwendigerweise, dass sich der Patient mit den sachverständigen Feststellungen auseinandersetzt, die dem Urteil zugrunde liegen. Dabei ist ihm abzuverlangen, sich medizinisch fundiert, d.h. regelmäßig unter Bezug auf ein Privatgutachten, medizinische Leitlinien oder andere Stimmen aus der medizinischen Literatur mit den von ihm beanstandeten Feststellungen eines Gerichtsgutachtens, auf die sich das erstinstanzliche Gericht gestützt hat, auseinanderzusetzen.
Klärt der Arzt auch über eine ernsthafte Alternative zu der von ihm in Aussicht genommenen Behandlung auf, ist er nicht verpflichtet, zu diesem Gespräch einen Arzt derjenigen Fachrichtung hinzuziehen, in die diese Alternativbehandlung fällt.
Oberlandesgericht Dresden, Urteil vom 12.05.2020 – 4 U 1388/19
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Haftung wegen fehlerhafter Hüftprothese
Die Herstellerin und Importeurin einer Großkopf-Hüfttotalendoprothese ist wegen eines Produktfehlers zur Zahlung von Schadensersatz und Schmerzensgeld in Höhe von 25.000 € verurteilt worden. Eine Prothese hatte nach ihrer Implantation Metall aus dem Konusadapter abgegeben. Die Metallabscheidungen hatten beim Kläger zu verschiedenen gesundheitlichen Beeinträchtigungen und zu einer Revisionsoperation mit dem Austausch wesentlicher Prothesenteile geführt.
Oberlandesgericht Karlsruhe, Urteil vom 08.06.2020 – 14 U 171/18
- veröffentlicht bei juris.de -
Werbung für Fernbehandlungsmodell: Digitalversicherer erneut unterlegen
Seit dem 19.12.2019 lautet § 9 HWG: „Unzulässig ist eine Werbung für die Erkennung oder Behandlung von Krankheiten, Leiden, Körperschäden oder krankhaften Beschwerden, die nicht auf eigener Wahrnehmung an dem zu behandelnden Menschen oder Tier beruht (Fernbehandlung). Satz 1 ist nicht anzuwenden auf die Werbung für Fernbehandlungen, die unter Verwendung von Kommunikationsmedien erfolgen, wenn nach allgemein anerkannten fachlichen Standards ein persönlicher ärztlicher Kontakt mit dem zu behandelnden Menschen nicht erforderlich ist.“
§ 9 S. 1 HWG ist nicht dahingehend einschränkend auszulegen, dass das Werbeverbot für Fernbehandlungen akzessorisch die Unzulässigkeit der beworbenen Behandlung voraussetzen würde. Vielmehr kommt § 9 HWG ein eigener Regelungsgehalt zu, indem er nicht die Fernbehandlung an sich verbietet, sondern die Werbung hierfür.
Werbung für die Ersetzung des persönlichen Arztbesuchs durch eine alternative digitale Fernbehandlung per digitaler Smartphone-Anwendung „von der Diagnose über die Therapieempfehlung bis hin zur Krankschreibung“ für nicht näher konkretisierte Behandlungsfälle und -situationen durch in der Schweiz ansässige Ärzte („Bleib einfach im Bett, wenn du zum Arzt gehst“) wird vom Ausnahmetatbestand des § 9 S. 2 HWG n. F. in dieser generellen Weite nicht gedeckt. Nach allgemeinen fachlichen Standards (s.a. § 25 Satz 1 MBO-Ä) ist ein persönlicher ärztlicher Kontakt mit dem zu behandelnden Menschen – gerade bei Patienten, die dem Arzt persönlich unbekannt sind – grundsätzlich erforderlich im Sinne von § 9 S. 2 HWG.
Oberlandesgericht München, Urteil vom 09.07.2020 – 6 U 5180/19
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Beihilfefähigkeit ärztlich verordneter empfängnisverhütender Mittel zur Behandlung einer Krankheit
Das BVerwG hat entschieden, dass empfängnisverhütende Mittel (Kontrazeptiva), deren arzneimittelrechtliche Zulassung auf die Empfängnisverhütung beschränkt ist, beihilfefähig sein können, wenn sie aus Anlass einer Krankheit verordnet werden.
Unter der Therapie einer Frau mit Empfängnisverhütungsmitteln konnten ihr Myomwachstum gehemmt, Blutungen auf ein Minimum reduziert und eine alternativ in Betracht zu ziehende Entfernung der Gebärmutter vermieden werden. Der beklagte Freistaat Sachsen gewährte zunächst Beihilfe, lehnte dies aber 2014 für das neu verordnete Präparat „Jubrele“ mit der Begründung ab, das Arzneimittel sei zwar zur Empfängnisverhütung, nicht aber zur Therapie anderer Krankheiten zugelassen. Hiergegen klagte die Patientin mit Erfolg.
Nach Auffassung des BVerwG scheitert ihr Beihilfeanspruch nicht daran, dass nach der Sächsischen Beihilfeverordnung Aufwendungen für ärztlich verordnete Arzneimittel nur beihilfefähig sind, wenn sie bestimmt sind, durch Einwirkung auf den menschlichen Körper der Heilung oder Linderung einer Erkrankung zu dienen. Diese Zweckbestimmung könne im Einzelfall auch der verordnende Arzt auf der Grundlage seiner fachlichen Bewertung unabhängig von der arzneimittelrechtlichen Zulassung treffen.
Bundesverwaltungsgericht, Urteil vom 26.06.2020 – 5 C 4.19
- offenbar bisher nicht veröffentlicht -
Anspruch nach Art. 15 Abs. 3 DSGVO steht neben dem aus § 630g Abs. 1 S. 1 BGB
Nach einem Urteil des LG Dresden kann ein Patient seinen Anspruch auf Herausgabe von Behandlungsunterlagen gegen seinen Arzt sowohl auf § 630g Abs. 1 S. 1 BGB als auch auf Art. 15 Abs. 3 DSGVO stützen. Die beiden Ansprüche stehen gleichberechtigt nebeneinander.
Zur Erfüllung des Auskunftsanspruchs aus Art. 15 Abs. 3 DSGVO muss die erstmalige Herausgabe kostenlos erfolgen und die Unterlagen – sofern gewünscht – in einem elektronischen Format übermittelt werden.
Der Beantwortung der Frage, ob der DSGVO-Anspruch genauso weit reicht wie der auf Einsichtnahme nach § 630g Abs. 2 S. 1 BGB, ob also die gesamte Patientenakte auch nach Art. 15 DSGVO herauszugeben ist oder nicht lediglich eine „strukturierte Zusammenstellung“ der ärztlich verarbeiteten personenbezogenen Daten, hat sich das Gericht ausdrücklich entzogen ("kann vorliegend dahingestellt bleiben").
Landgericht Dresden, Urteil vom 29.05.2020 – 6 O 76/20
https://t.ly/O1mZ
Hochschullehrer als Chefärzte versicherungspflichtig
Beamtete Hochschullehrer, die ebenfalls als Chefärzte an einem Krankhaus (organisiert in der Rechtsform einer GmbH) im Bereich der Krankenversorgung tätig sind, stehen in einem abhängigen Beschäftigungsverhältnis zu dem Krankenhaus.
Eine neben oder unabhängig von dem nach § 27 Abs. 1 Nr. 1 SGB III versicherungsfreien Beamtenverhältnis ausgeübte Beschäftigung unterliegt – anders als im Krankenversicherungsrecht (§ 6 Abs. 3 SGB V) – grundsätzlich der Versicherungspflicht in der Arbeitslosenversicherung.
Auch die Versicherungsfreiheit nach § 5 Abs. 1 S. 1 SGB VI (Rentenversicherungsfreiheit für Beamte und Richter auf Lebenszeit, auf Zeit oder auf Probe, Berufssoldaten und Soldaten auf Zeit sowie für Beamte auf Widerruf im Vorbereitungsdienst) ist beschäftigungsbezogen und erstreckt sich nicht auf Beschäftigungsverhältnisse, die neben der Tätigkeit als Beamter ausgeübt werden.
Landessozialgericht Baden-Württemberg, Urteil vom 25.06.2020 – L 7 BA 1208/18
https://t.ly/nuxS
Apotheker an MVZ beteiligt: BGH bestätigt Abrechnungsbetrug
Das LG Hamburg hat einen Apotheker und zwei Ärzte wegen mehrfachen, teils banden- und gewerbsmäßig begangenen Betrugs zu (teils zur Bewährung ausgesetzten) Freiheitsstrafen verurteilt. Zudem hat es die Einziehung von Erträgen aus den Betrugstaten in Höhe von rund 1,5 Mio. € angeordnet.
Der angeklagte Apotheker beabsichtigte, ein MVZ zu erwerben, um sich – über den dann erhofften Einfluss auf das Verordnungsverhalten der dort tätigen Ärzte – neue Absatzquellen für von ihm hergestellte hochpreisige Medikamente zu erschließen. Ihm war indes bewusst, dass die MVZ-Beteiligung von Apothekern nach § 95 Abs. 1a SGB V seit Januar 2012 nicht mehr zulässig war. Um das Beteiligungsverbot zu umgehen, suchte und fand er einen ärztlichen „Strohmann“, über den er die Mehrheitsanteile an einem MVZ erwarb. Die Umgehung des Beteiligungsverbots war allen Beteiligten bekannt.
Die KV zahlte im Vertrauen auf die Abrechnungsberechtigung des MVZ fast 1,5 Mio. für ärztliche Leistungen an das MVZ aus. Für in der Apotheke des Angeklagten eingelöste Verordnungen zahlte eine Krankenkasse weitere rund 150.000 € aus.
Der BGH hat das LG-Urteil weitegehend bestätigt. Die Einreichung der Abrechnungen von ärztlichen Leistungen und Verordnungen unter Verschleierung der Umgehung des in § 95 Abs. 1a SGB V normierten Beteiligungsverbots für Apotheker an einem MVZ sei als Betrug zu werten. Die Strafaussprüche und die Entscheidung über die Höhe der Einziehung indes wurden aufgehoben und die Sache insoweit zu neuer Verhandlung und Entscheidung zurückverwiesen.
Bundesgerichtshof, Urteil vom 19.08.2020 – 5 StR 558/19
- bisher offenbar nicht veröffentlicht -
Verurteilung eines Apothekers wegen gepanschter Krebsmedikamente bestätigt
Der BGH hat im Fall der Verurteilung eines ehemaligen Apothekers zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von zwölf Jahren wegen gepanschter Krebsmedikamente die Revision verworfen. Zuvor hatte das LG Essen den Angeklagten wegen Verstoßes gegen das Arzneimittelgesetz und Betrugs verurteilt und ein lebenslanges Berufsverbot sowie die Einziehung des Wertes von Taterträgen in Höhe von 17 Mio. € angeordnet.
Der selbständige Apotheker stellte patientenindividuelle Arzneimittelzubereitungen für die Krebstherapie her und lieferte sie an onkologische Arztpraxen und Krankenhäuser. Im Tatzeitraum von knapp vier Jahren fertigte er rund 15.000 Arzneimittelzubereitungen, die nicht die ärztlich verschriebene Wirkstoffmenge enthielten. Die unterdosierten Arzneimittelzubereitungen brachte er in der ganz überwiegenden Anzahl der Fälle in den Verkehr. Zudem rechnete er die unterdosierten Zubereitungen monatlich gegenüber den gesetzlichen Krankenkassen und den öffentlich-rechtlichen Kostenträgern ab, um sich eine dauerhafte Einnahmequelle zu verschaffen.
Der BGH hat die auf mehrere Verfahrensbeanstandungen und auf die Sachrüge gestützten Revisionen des Angeklagten und mehrerer Nebenkläger, die eine Verurteilung des Angeklagten wegen Tötungs- und Körperverletzungstaten erstrebten, verworfen und den Schuld- und Strafausspruch sowie das lebenslange Berufsverbot bestätigt. Lediglich der Einziehungsbetrag wurde auf rund 13,6 Mio. € herabgesetzt.
Bundesgerichtshof, Urteil vom 10.06.2020 – 4 StR 503/19
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Apotheken-Automaten bleiben verboten
Es bleibt dabei: Die niederländische Versandapotheke DocMorris darf in Deutschland keine Arzneimittel über Automaten abgeben. Der BGH hat mehrere Nichtzulassungsbeschwerden der Versandapotheke zurückgewiesen.
Nach dem umstrittenen DocMorris-Modell konnten Kunden per „pharmazeutischer Videoberatung“ Kontakt mit einem Apotheker in den Niederlanden aufnehmen. Das Medikament fiel dann aus dem Ausgabeschacht eines Automaten. Nach Klagen mehrerer Apotheker und des Landesapothekerverbands Baden-Württemberg hatten das LG Mosbach und das OLG Karlsruhe das Automaten-Modell für wettbewerbswidrig erklärt und untersagt.
Doc Morris sah in dem Modell einen erlaubten „antizipierten“ Versandhandel. Doch der BGH bestätigte, das Vertriebsmodell stehe nicht mit den Vorschriften zur Arzneimittelabgabe im Einklang. Eine sichere Lagerung sowie ständige Überwachung und Kontrolle der Arzneimittel sei bei dem Modell mit deren Zwischenlagerung in einem angeschlossenen Lager nicht gewährleistet.
Eine Vorlage an den EuGH hielt der BGH nicht für erforderlich. Die Frage der Rechtfertigung eines Eingriffs in die Warenverkehrsfreiheit bei Gefährdung der Arzneimittelsicherheit sei bereits durch die EuGH-Rechtsprechung geklärt.
Bundesgerichtshof, Beschlüsse vom 30.04.2020 – I ZR 122/19, I ZR 123/19 und I ZR 155/19
https://t.ly/Dphe
Süßigkeiten-Zugabe beim Medizinprodukte-Versand ist unzulässige Werbegabe
Nach § 7 Abs. 1 HWG ist es unzulässig, Zuwendungen und sonstige Werbegaben (Waren oder Leistungen) anzubieten, anzukündigen oder zu gewähren oder als Angehörige der Fachkreise anzunehmen. Bietet eine Herstellerin und Vertreiberin von Verbandstoffen, Medizin-, Mutter- und Kind-Produkten, sportmedizinischen Artikeln und vergleichbaren Waren in an Apotheken gerichteten Flyern an, zur Bestellung von Mullbinden, Fixierbinden und Kalt-/Wärmekompressen ab einem Bestellwert von 30,00 € netto der Bestellung Süßigkeitenboxen im Wert von 4,89 € und 5,11 € gratis beizufügen, ist ein Verstoß gegen § 7 Abs. 1 HWG gegeben. Da die Grenze der Geringwertigkeit bei etwa 1,00 € liegt, können diese Süßigkeiten nicht mehr als geringwertige Kleinigkeiten angesehen werden.
Landgericht Dortmund, Urteil vom 20.02.2020 – 18 O 98/19
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Geschenkbox für Apothekenmitarbeiter als unzulässige Werbegabe
Überlässt die Betreiberin eines Forums für Apothekenmitarbeiter diesen nach Registrierung mehrfach im Jahr eine Geschenkbox mit verschiedenen Produkten aus dem apothekenüblichen Warensortiment zum Kennenlernen und Ausprobieren sowie einer Packung Ibuprofen Schmerztabletten, liegen in der Bewerbung und dem Versand der Box Verstöße gegen § 7 Abs. 1 HWG.
Die Überlassung der Box mit den Schmerztabletten ist eine unzulässige Werbegabe. Die erforderliche abstrakte Gefahr einer Beeinflussung des Werbeadressaten ist bei Werbegaben, die aus der kostenlosen Abgabe eines Arzneimittels an Apothekenmitarbeiter bestehen, ohne weiteres gegeben. Sie besteht darin, dass – was ja auch gerade Ziel der Werbegabe ist – die Empfänger der Box das darin enthaltene Medikament selbst nutzen und dazu verleitet sein können, dieses Präparat bei der Kundenberatung besonders hervorzuheben
Die Forumbetreiberin hat nicht aufgezeigt, dass die Voraussetzungen eines Ausnahmetatbestands vorliegen. Insbesondere hat sie nicht vorgetragen, welchen Wert die in der Geschenkbox enthaltenen Waren insgesamt haben. Die Geringwertigkeitsgrenze für Fachkreise ist äußerst niedrig – und nicht höher als für Verbraucher – anzusetzen. Gerechtfertigt erscheint, sich an den für Zuwendungen an Verbraucher bei Werbung für rezeptpflichtige Arzneimittel entwickelten Grenzwert von 1,00 € anzulehnen. Eine Unterschreitung dieses Grenzwerts ist nicht dargetan.
Landgericht Düsseldorf, Urteil vom 03.04.2020 – 38 O 212/19
- veröffentlicht bei juris.de -