Kein unbefristeter Patienten-Aufnahmestopp trotz eines Covid-19-Falls
Das VG Minden hat entschieden, dass ein vollständiger Aufnahmestopp von Patienten für ein Krankenhaus trotz eines Covid-19-Falles in der Einrichtung nicht grundsätzlich erforderlich ist.
Eine stationäre Rehabilitationsklinik wurde auf Grundlage des Covid-19-Krankenhausentlastungsgesetzes als Einrichtung zur Entlastung der akutstationär zu versorgenden Patienten bestimmt und gilt seitdem für die Patientenbehandlung als zugelassenes Krankenhaus. Nachdem bekannt wurde, dass sich eine stationär aufgenommene Patientin mit dem Corona-Virus infiziert hat, wurde der Klinik mit sofort vollziehbarem Bescheid vom 09.04.2020 untersagt, neue Patienten aufzunehmen.
Im von der Klinik angestrengten Eilverfahren hob das Gericht diesen unbefristeten Aufnahmestopp auf. Die Erlassbehörde habe ihr Ermessen nicht ordnungsgemäß ausgeübt und lediglich festgestellt, dass sich eine Patientin mit dem SARS-CoV-2 Virus infiziert habe und von einer Ansteckung der Patientin in der Klinik ausgegangen werden müsse. Andere als die angeordnete Maßnahme zur Verhinderung der Verbreitung des Virus seien nicht erwogen worden. Dies sei aber vor dem Hintergrund geboten gewesen, dass die Einrichtung gerade auch die Versorgung stationär behandlungsbedürftiger Patienten sicherstellen solle. Das RKI sehe einen Aufnahmestopp zudem nicht als unmittelbare und grundsätzlich erforderliche Reaktion bei Covid-19-Ausbrüchen in Gesundheitseinrichtungen vor.
Verwaltungsgericht Minden, Beschluss vom 21.04.2020 – 7 L 299/20
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Vorhaltepflicht von Privatklinikbetten in Bayern gekippt
Das VG Ansbach hat dem Antrag einer Nürnberger Privatklinik stattgegeben, die sich gegen die Pflicht zum Freihalten ihrer sechs Klinikbetten gewendet hatte.
Im Wege der Allgemeinverfügung wurde geregelt, dass Privatkliniken in Bayern bis auf weiteres alle planbaren Behandlungen zurückstellen, um möglichst umfangreiche Kapazitäten für die Versorgung von Covid-19-Patienten freizuhalten. Mit weiterer Verfügung wurde geregelt, dass die vorhandenen Kapazitäten in vollem Umfang zur stationären Versorgung zur Verfügung stehen sollen.
Die Betreiberin einer Privatklinik suchte hiergegen erfolgreich um einstweiligen Rechtsschutz nach. Sie habe seit dem 20.03.2020 keinerlei stationäre Behandlungen mehr durchführen können. Hierauf seien zuvor aber 76 % des Gesamtumsatzes entfallen, so dass eine wirtschaftliche Fortführung des Klinikbetriebes nicht mehr möglich sei. Eine Inanspruchnahme aufgrund drohender Überforderung des Gesundheitssystems sei nach aktuellem Stand nicht ersichtlich.
Nach Auffassung des Gerichts stehen die getroffenen Schutzmaßnahmen inhaltlich ("soweit") und zeitlich ("solange") unter einem strengen Verhältnismäßigkeitsvorbehalt. Mit Blick auf die Verhältnismäßigkeit müsse die Abflachung der Neuinfektionsrate und die nur teilweise Auslastung der Klinikbetten, auch im betroffenen Raum, von 50 % berücksichtigt werden. Dem Eilantrag der Klinik sei mit Blick auf die schweren wirtschaftlichen Folgen für diese stattzugeben. Allerdings wies das VG ausdrücklich darauf hin, dass der Beschluss bei einem veränderten Pandemiegeschehen abänderbar sei.
Verwaltungsgericht Ansbach, Beschluss vom 25.04.2020 – AN 18 S 20.00739
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Zur Beweislast und Schadenskausalität bei unzureichender Alternativaufklärung
Die Darlegungs- und Beweislast für den Kausalverlauf nach einer unzureichenden Alternativaufklärung liegt beim Patienten. Eine unterbliebene Aufklärung über die Alternative einer Operation anstelle eines konservativen Vorgehens ist für einen Schaden nur dann kausal, wenn pflichtgemäßes Handeln den Eintritt des Schadens verhindert hätte, was zur sicheren Überzeugung des Gerichts feststehen muss.
Nach den Ausführungen des OLG Dresden war es im entschiedenen Fall nicht geboten, den Kläger anlässlich akuter Pankreatitisschübe in den Jahren 2014 und 2015 über die neben einer konservativen Behandlung bestehende Möglichkeit einer operativen Intervention aufzuklären. Dem Kläger war auch der Nachweis eines auf einer Pflichtverletzung beruhenden kausalen Schadens nicht gelungen. Dass sich bei gebotener Aufklärung und Entscheidung des Patienten für eine Operation ein anderer Verlauf und ein günstigeres Behandlungsergebnis ergeben hätten, war nicht mit Sicherheit festzustellen.
Oberlandesgericht Dresden, Beschluss vom 13.01.2020 – 4 U 2339/19
- veröffentlicht bei juris.de -
10.000 € Schadenersatz nach fehlerhafter Zahnbehandlung
Nach einer fehlerhaften Zahnbehandlung, die zu einer cranio-mandibulären Dysfunktion (CMD) führte, muss eine Zahnärztin Schmerzensgeld in Höhe von 10.000 € leisten und der Patientin Nachbehandlungskosten erstatten. Als sie von der Patientin auf deren verschlechterten Gesundheitszustand angesprochen wurde, hatte die Zahnärztin ihr lediglich erklärt, sie müsse sich erst einmal „an die neuen Zähne gewöhnen“.
So habe die Zahnärztin gegen den fachzahnärztlichen Behandlungsstandard verstoßen und eine akute und schwerwiegende CMD bei der Klägerin verursacht, so das Gericht. Sie habe den Biss der Patientin zu niedrig eingestellt. Dadurch seien bei dieser eine Überlastung der Muskulatur und in der Folge Verspannungen zumindest mitverursacht worden. Die Zahnärztin hätte die Problematik jedenfalls gegen Ende der Behandlung erkennen müssen und die Patientin vor der endgültigen Eingliederung der neuen Versorgung im zweiten Behandlungsabschnitt auf Anzeichen einer beginnenden CMD untersuchen müssen.
Oberlandesgericht Köln, Urteil vom 08.04.2020 – 5 U 64/16
- Urteil offenbar bisher nicht veröffentlicht -
Radiologe wegen unterlassener Indikationsprüfung verurteilt
Radiologen sind verpflichtet, bei jedem ihnen zur radiologischen Untersuchung überwiesenen Patienten vor Beginn der Behandlung zu prüfen, ob dieser Patient im Einzelfall eine radiologische Untersuchung benötigt (sog. „rechtfertigende Indikation“ nach § 23 Abs. 1 RöV bzw. § 80 Abs. 1 StrlSchV (nun geregelt in § 119 StrlSchV n. F.). Ein niedergelassener Radiologe und sein Mitgesellschafter hatten jedoch die Praxisabläufe so organisiert, dass Patienten in der Praxis zuerst vom Praxispersonal mit einem vorab ärztlich unterzeichneten Erklärungsbogen aufgeklärt und dann – wie überwiesen – radiologisch untersucht wurden. Dem Arzt wurden die angefertigten Bilder danach zur Befundung vorgelegt. Gegenüber der KV versicherte er schließlich im Rahmen der Sammelerklärung bewusst wahrheitswidrig, sämtliche abgerechneten Leistungen persönlich und unter Einhaltung der Abrechnungsbestimmungen des EBM erbracht zu haben.
Das Landgericht Saarbrücken wertete dies als Täuschungshandlung im Sinne des Betrugs nach § 263 Abs. 3 S. 2 Nr. 1 StGB und verurteilte den Radiologen zu einer Freiheitsstrafe von einem Jahr auf Bewährung. Die Anordnung eines Berufsverbots nach § 70 StGB blieb dem Arzt erspart. Ein Honorar-Betrag in Höhe von rund 230.000 € war bereits vor Beginn der strafrechtlichen Hauptverhandlung an die KV zurückgezahlt worden.
Landgericht Saarbrücken, Urteil vom 19.11.2019 – 2 KLs 5/18
- veröffentlicht bei juris.de -
Facharzt erhält keine Folgeermächtigung
1. Eine Klage auf Erteilung einer Ermächtigung nach § 116 SGB V i.V.m. § 31a Abs. 1 S. 2 Ärzte-ZV ist unzulässig, wenn der Zeitraum, für den die Ermächtigung begehrt wird und regelmäßig erteilt wird (Zweijahreszeitraum), abgelaufen ist. Die begehrte Regelungswirkung ist dann entfallen.
2. Bei vorstationären und nachstationären Leistungen im Zusammenhang mit einem beabsichtigten bzw. bereits erfolgten chirurgischen (endoprothetischen) stationären Eingriff handelt es sich grundsätzlich um allgemeine ärztliche Leistungen, zu deren Erbringung der überweisende niedergelassene Facharzt aufgrund der Weiterbildungsordnung befähigt ist und die ihm aufgrund des Grundsatzes über den Vorrang des niedergelassenen Bereichs vorbehalten sind. Dadurch, dass es in manchen Fällen sinnvoll sein mag, wenn vor- und nachstationäre Leistungen durch den Operateur ebenfalls mit erbracht werden, entsteht kein qualitativ-spezieller Versorgungsbedarf.
3. Eine Objektivierung von Umfrageergebnissen im Sinne eines Abgleichs mit Anzahlstatistiken zur Feststellung eines Versorgungsbedarfs ist dann nicht möglich, wenn es sich um begrenzte Leistungen handelt, die dort im Detail nicht ihren Niederschlag gefunden haben.
4. Auch bei allgemeinen Leistungen sind ausnahmsweise Wegstrecken über 25 km den Patienten zumutbar. Dies gilt für vorstationäre und nachstationäre Leistungen im Zusammenhang mit solchen stationären Eingriffen, bei denen die Wohnortnähe lediglich nachrangige Bedeutung hat.
Sozialgericht München, Beschluss vom 07.01.2020 – S 38 KA 972/15
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Zahnärztin klagt erfolglos gegen sachlich-rechnerische Richtigstellung
Erbringt eine Vertragszahnärztin Leistungen unter Verwendung in ihrer Praxis aufbereiteten Instrumentariums, das keimarm bzw. steril beim Patienten zur Anwendung gelangen muss, dessen Verwendung ihr aber durch eine Verfügung der nach dem MPG und der MPBetreibV zuständigen Behörde untersagt worden ist, darf die KZV die Honoraranforderungen richtigstellen und ihrer Entscheidung die – für sofort vollziehbar erklärte – Entscheidung der zuständigen Behörde zugrunde legen.
Sozialgericht Schwerin, Urteil vom 19.02.2020 – S 3 KA 35/18
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Zur Rechtmäßigkeit eines Regresses nach Richtgrößenprüfung
Ein Bescheid des Beschwerdeausschusses über die Festsetzung eines Richtgrößenregresses kann nicht allein deshalb aufgehoben werden, weil die betroffenen Vertragsärzte nicht mündlich angehört worden sind, wenn diese genügend Zeit hatten, Einwendungen gegen einen Festsetzungsbescheid des Beschwerdeausschusses schriftlich vorzutragen.
Gegen eine hausärztliche BAG wurde im Jahr 2007 wegen einer Überschreitung des Richtgrößenvolumens um mehr als 130 % ein Regressbescheid verhängt. Die BAG machte dagegen unter anderem Praxisbesonderheiten geltend. Die Sitzung des Beschwerdeausschusses im Widerspruchsverfahren wurde für Anfang Dezember 2010 angesetzt. Die BAG beantragte erfolglos die Verlegung des Termins wegen der Erkrankung einer Ärztin der BAG, die angehört werden sollte. Am Morgen des Sitzungstags übersandte die BAG noch einen umfangreichen Schriftsatz mit Einwendungen per Fax; eine zugehörige CD-Rom ging erst nach der Sitzung per Post ein. Der BA erließ in der Sitzung einen Regressbescheid über rund 295.000 €.
Auf die Klage der BAG entschied das LSG, dass an dem Bescheid nichts zu beanstanden sei, und wies die Klage ab. Die BAG habe lange Zeit gehabt, ihre Einwendungen vorzutragen und Praxisbesonderheiten geltend zu machen. Ein Recht auf Anhörung der Ärztin der BAG bestehe nach der Prüfvereinbarung nicht.
Landessozialgericht Niedersachsen-Bremen, Urteil vom 12.02.2020 – L 3 KA 20/17
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Protokollierter Vergleich nach Wirtschaftlichkeitsprüfung formunwirksam
Ein von dem Vorsitzenden des Beschwerdeausschusses in dessen Sitzung protokollierter Vergleich ist nach § 58 Abs. 1 SGB X i.V.m. § 125 BGB formunwirksam, da – anders als beim gerichtlichen Vergleich – die Schriftform nicht nach § 126 Abs. 4 BGB ersetzt wird, weil seine Protokollierung nicht nach den Vorschriften der Zivilprozessordnung erfolgt. § 106 Abs. 5 SGB V (i.d.F.v. 22.12.2011) ordnet für das Verfahren vor dem Beschwerdeausschuss lediglich die Anwendung von § 84 Abs. 1 und § 85 Abs. 3 SGG an, nicht jedoch von § 122 SGG i.V.m. §§ 159 bis 165 ZPO.
Hessisches Landessozialgericht, Urteil vom 12.02.2020 – Az.: L 4 KA 11/17
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GOP 04040 EBM: Aufschlagsberechnung bei Job-Sharing-Praxen
Nach dem fünften Absatz der Anmerkung zur GOP 04040 im EBM erhalten Praxen mit mehr als 1.200 Behandlungsfällen je Arzt einen Aufschlag von 14 Punkten auf die Zusatzpauschale für die Wahrnehmung des hausärztlichen Versorgungsauftrags. Zur Berechnung dieses Werts ist die Gesamtzahl der Behandlungsfälle einer Praxis durch die Anzahl der Ärzte zu dividieren, wobei deren Umfang der Tätigkeit laut Zulassungs- bzw. Genehmigungsbescheid zu berücksichtigen ist. Davon gibt es auch für Job-Sharing-Praxen, die einer Leistungsbegrenzung unterliegen, keine Ausnahme.
Sozialgericht Marburg, Urteil vom 29.01.2020 – S 11 KA 686/16
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Keine Nadelepilation für Transsexuelle
Die GKV ist zur Übernahme der Kosten für eine Elektroepilation der grauen und weißen Barthaare durch eine Kosmetikerin/Elektrologistin nach einer geschlechtsangleichenden Behandlung bei Transsexualität auch dann nicht verpflichtet, wenn ein Vertragsarzt die begehrte Leistung nicht erbringt. Eine Epilationsbehandlung unterliegt dem Arztvorbehalt. Ein Systemversagen, das sich daraus ergibt, dass die Versicherte keine Vertragsärzte findet, die die Nadelepilation der Barthaare erbringen, und weder die Krankenkasse noch die KV leistungsbereite Vertragsärzte benennen können, begründet keinen Anspruch der Versicherten gegen die Kasse auf die Verschaffung einer als ärztliche Leistung gebotenen Behandlung durch einen Nichtarzt. Die Schaffung der gesetzlichen Grundlagen für eine Kostenübernahme weiterer Behandlungsmaßnahmen zur optischen Angleichung an das gewünschte Geschlecht obliegt dem Gesetzgeber.
Landessozialgericht Niedersachsen-Bremen, Urteil vom 17.03.2020 – L 16 KR 462/19
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PKV muss auch über 3,5-fachem Steigerungssatz erstatten
Auch wenn eine Honorarvereinbarung (hier: mit einem Zahnarzt) ausschließlich Steigerungsfaktoren enthält, die oberhalb des 3,5-fachen Satzes liegen, kann die private Krankenversicherung eines Patienten dazu verpflichtet sein, dessen Aufwendungen zu erstatten.
Die Bedingungswerke der Versicherung knüpfen an die dem Versicherungsnehmer entstandenen Aufwendungen für eine medizinisch notwendige (zahn-)ärztliche Heilbehandlung an. Der Versicherer hat mit der Wendung „medizinisch notwendige Heilbehandlung“ keine Beschränkung seiner Leistungspflicht auf „kostengünstige“ Behandlung erklärt. Das Kürzungsrecht des Versicherers bei sog. Übermaßbehandlungen gemäß § 5 Abs. 2 MB/KK erstreckt sich auf das medizinisch notwendige Maß der Behandlung, nicht aber auf „Übermaßvergütungen“. Somit ist in dem vereinbarten Tarif keine Einschränkung auf die Höchstsätze der amtlichen Gebührenordnung vorgesehen.
Eine Einschränkung des tariflichen Leistungsversprechens im Wege der ergänzenden Vertragsauslegung wegen einer etwaigen Regelungslücke kommt nicht in Betracht, weil die PKV auch Tarife anbietet, die eine ausdrückliche Beschränkung der Erstattung auf die Höchstsätze der amtlichen Gebührenordnung enthalten. Daher ist von bewusst verschiedenen Leistungsversprechen mit verschiedenen Prämiengestaltungen auszugehen. Ein durchschnittlicher Versicherungsnehmer kann angesichts der unbeschränkten Regelung in den Versicherungsbedingungen darauf vertrauen, dass er nach dem Tarif auch Aufwendungen aufgrund von Gebührenvereinbarungen ersetzt verlangen kann.
Oberlandesgericht Köln, Urteil vom 14.01.2020 – 9 U 39/19
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Oberärztin nach Chefarztwechsel rechtsmissbräuchlich freigestellt
Die Freistellung einer ordentlich unkündbaren geschäftsführenden Oberärztin nach einem Chefarztwechsel zur Erzwingung und Durchführung von Verhandlungen über die Aufhebung ihres Vertragsverhältnisses ist rechtsmissbräuchlich.
Eine tariflich unkündbare geschäftsführende Oberärztin wurde, als sie nach längerer Arbeitsunfähigkeit wieder zur Arbeit erschien, unter Fortzahlung der Vergütung „insbesondere auch für Verhandlungen über die Aufhebung bzw. Abwicklung ihres Anstellungsverhältnisses“ freigestellt. Sie verlangte von der Klinikbetreiberin per einstweiliger Verfügung erfolgreich ihre Beschäftigung.
Nach der Überzeugung der Gerichte lassen persönliche Animositäten den Beschäftigungsanspruch nicht entfallen. Ein durch den neuen Chefarzt hervorgerufener Teamüberhang bzw. ein nicht (mehr) passendes Team sei kein schutzwürdiges Interesse für eine Freistellung. Kein ordentlich unkündbarer Arbeitnehmer muss gegen seine Willen Verhandlungen über die Aufhebung und Abwicklung des eigenen Anstellungsvertrages führen.
Landesarbeitsgericht Schleswig-Holstein, Urteil vom 06. Februar 2020 – 3 SaGa 7 öD/19
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Weiterbildungsassistentin klagt erfolgreich auf Entfristung
Vereinbaren die Vertragsparteien nach dem Gesetz über befristete Arbeitsverträge mit Ärzten in der Weiterbildung (ÄArbVtrG) entgegen der Regelung in § 1 Abs. 2 Hs. 2 ÄArbVtrG keine kalendermäßig bestimmte oder zumindest bestimmbare Befristung, sondern eine vom Bestehen der Facharztprüfung abhängige Zweckbefristung, wird ein unbefristetes Arbeitsverhältnis begründet.
Landesarbeitsgericht Nürnberg, Urteil vom 31.01.2020 – 4 Sa 179/19
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Sozialversicherungspflicht: Befristeter Vertreter im MVZ abhängig beschäftigt
Ein ausschließlich zeitlich befristet als Vertretungsarzt in einem MVZ tätiger Arzt, der einbestellte Patienten behandelt (Echokardiographien durchführt), und in die vom MVZ bereitgestellte Infrastruktur organisatorisch, personell und sachlich vollständig eingebunden ist, sowie nach Stunden bezahlt wird, unterliegt als Beschäftigter der Versicherungspflicht.
Für die abhängige Beschäftigung eines solchen Arztes spricht, dass der Arzt Patienten behandelt, die vom MVZ einbestellt werden, dass er diese Patienten zu festen Dienstzeiten nach Dienstplan behandelt, und dass er kein wirtschaftliches Risiko trägt – etwa weil er seinen Stundenlohn unabhängig davon erhält, ob die Patienten ihre Behandlung gegenüber dem MVZ bezahlen.
Aus dem Vertragsarztrecht, insbesondere dem vertragsärztlichen Zulassungsrecht (hier: § 32 Ärzte-ZV) folgt nicht, dass der vertretungsweise tätige Arzt in einem MVZ zwingend selbständig tätig sein muss. § 23c Abs. 2 SGB IV begründet keinen Anspruch auf Gleichbehandlung für alle vertretungsweise tätigen Ärztinnen und Ärzte.
Landessozialgericht Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 07.02.2020 – L 9 BA 92/18
https://t.ly/T8Oy
Notärztlicher Bereitschaftsdienst ist umsatzsteuerfreie Heilbehandlung
Reine ärztliche Bereitschaftsdienste, die dadurch gekennzeichnet sind, dass sich ein Arzt zur Sicherstellung der notärztlichen Behandlung in einem Landkreis jederzeit zum Einsatz bereithält, sind als Heilbehandlungen einzustufen. Denn derartige Dienste sind für notärztliche Behandlungen unerlässlich und gehören zum typischen Berufsbild eines Arztes. Die Übernahme derartiger Bereitschaftsdienste ist daher nicht etwa nur Voraussetzung für eine gegebenenfalls erforderliche Notfallbehandlung, sondern dient selbst der Behandlung einer Krankheit oder Gesundheitsstörung und wird daher von § 4 Nr. 14 Buchst. a UStG mit umfasst.
Niedersächsisches Finanzgericht, Urteil vom 23.01.2020 – 11 K 186/19
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Zell-Einlagerung bei medizinisch indizierter künstlicher Befruchtung umsatzsteuerfrei
Die Einlagerung kryokonservierter Ei- und Samenzellen zum Zweck der medizinisch indizierten künstlichen Befruchtung in Fällen, in denen eine organisch bedingte Sterilität bei einem der beiden fortpflanzungswilligen Partner vorliegt, stellt eine steuerfreie Heilbehandlung nach § 4 Nr. 14 S. 1 UStG a.F. dar (Abgrenzung zum nicht steuerbefreiten sog. „social freezing“, also dem vorsorglichen Einfrieren und Lagern unbefruchteter Eizellen ohne medizinischen Grund).
Die Einstufung als steuerfreie Heilbehandlung scheitert nicht daran, dass die vorgehende oder sich anschließende Fruchtbarkeitsbehandlung von einem anderen Unternehmer bzw. Dritten durchgeführt wird (entgegen Abschn. 4.14.2 Abs. 4 S. 4 UStAE). Denn die Dienstleistung des Einlagerns bildet einen unerlässlichen, festen und untrennbaren Bestandteil des Gesamtverfahrens der künstlichen Befruchtung, das einem therapeutischen Zweck – der Herbeiführung einer weiteren Schwangerschaft – dient und aus der Entnahme von Eizellen, der Konservierung durch Einfrieren und dem späteren Wiedereinsetzen besteht.
Ob es nach der Kryokonservierung tatsächlich zu einer (weiteren) Fruchtbarkeitsbehandlung gekommen ist, ist für die Frage der Steuerfreiheit unerheblich.
Finanzgerichtshof Münster, Urteil vom 06.02.2020 – 5 K 158/17 U
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Hinweis: Revision beim BFH anhängig unter Az. V R 10/20
Niederländische Versandapotheke darf Sofortbonus gewähren (Sofort-Bonus II)
Die Regelung des § 78 Abs. 1 S. 4 AMG, wonach die auf der Grundlage des § 78 Abs. 1 S. 1 AMG erlassene Arzneimittelpreisverordnung auch für Arzneimittel gilt, die gemäß § 73 Abs. 1 S. 1 Nr. 1a AMG von einer Apotheke eines Mitgliedstaats der EU an den Endverbraucher im Geltungsbereich des AMG verbracht werden, steht mit der Regelung in Art. 34 und 36 des Vertrags über die Arbeitsweise der EU (AEUV) nicht in Einklang und ist daher gegenüber einer in den Niederlanden ansässigen Apotheke nicht anwendbar.
Die Werbung einer in einem anderen EU-Mitgliedstaat ansässigen Versandapotheke gegenüber privatversicherten Verbrauchern mit einem diesen auf deren Kundenkonto gutgeschriebenen und mit dem Kaufpreis für nicht rezeptpflichtige Produkte zu verrechnenden Sofortbonus von bis zu 30 € pro Rezept stellt, falls der Bonus nicht auf der zur Vorlage beim privaten Krankenversicherer vorgesehenen Quittung vermerkt wird, keinen im Hinblick auf die von den Verbrauchern zu wahrenden Interessen ihrer Krankenversicherer begründeten Verstoß gegen die unternehmerische Sorgfalt gemäß § 3 Abs. 2 UWG und (falls der Bonus auf dieser Quittung vermerkt wird) auch keine Irreführung des Kunden dar (Abgrenzung gegenüber bisheriger BGH-Rechtsprechung).
Bundesgerichtshof, Urteil vom 20.02.2020 – I ZR 5/19
https://t.ly/JFNf
Zur Bewerbung des Wirkstoffgehalts homöopathischer Arzneimittel
Es kann wettbewerbsrechtlich zulässig sein, ein homöopathisches Arzneimittel zu vertreiben und zu bewerben, auch wenn der darin angeblich verwendete Wirkstoff nicht nachweisbar ist.
Die Produkte „HCG C30 Globuli“ und „HCG C30 Tropfen“ enthalten offenbar das Schwangerschaftshormon „HCG“ als „Wirkstoff“. Die Verdünnung „C30“ beschreibt einen Wirkstoffgehalt, der mit wissenschaftlichen Methoden nicht mehr nachweisbar ist. Die Herstellerin der Produkte wurde mit dem Argument auf Unterlassung der Bewerbung in Anspruch genommen, Globuli und Tropfen bestünden zu 100% aus Zucker.
Eine Irreführung nach § 5 UWG wurde gerichtlich jedoch nicht bestätigt. Durch die Vorlage der „Dokumentation Defekturarzneimittel nach § 8 Abs. 1 und 3 ApBetrO“ sei nachgewiesen, dass die umstrittenen Produkte HCG in der angegebenen Dosierung C30 enthalten. Die derzeit fehlende
Nachweismöglichkeit des Wirkstoffs bei der gewählten Dosierung lasse nicht den Schluss zu, dass dieser tatsächlich nicht im homöopathischen Medikament enthalten ist.
Landgericht Darmstadt, Urteil vom 30.01.2020 – 15 O 25/19
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