Versicherungsschein nach Asylbewerberleistungsgesetz entschuldigt nicht unzureichende therapeutische Aufklärung

Ein Klinikarzt hatte eine Patientin lediglich in eingeschränktem Umfang untersucht, weil sie nur einen Versicherungsschein nach dem Asylbewerberleistungsgesetz hatte. Er erkannte deswegen einen bestehenden Minderwuchs nicht. Das ist ein Behandlungsfehler, entschied das Oberlandesgericht Oldenburg am 21. Mai 2014 (AZ: 5 U 216/11), wie die Arbeitsgemeinschaft Medizinrecht des Deutschen Anwaltvereins (DAV) mitteilt.

Der Kinderarzt hatte das achteinhalb Jahre alte Mädchen, das wie seine syrische Familie seit 2005 als Asylbewerberin in Deutschland lebt, an ein Krankenhaus überwiesen. Die Klinikärzte erkannten nicht den Minderwuchs des Kindes, der erst vier Jahre später diagnostiziert wurde. Als vertraulichen Zusatz im Arztbrief an den Kinderarzt vermerkte der behandelnde Oberarzt, das Mädchen habe lediglich einen Versicherungsschein nach dem Asylbewerberleistungsgesetz, der weitere Untersuchungen und eine eventuelle Therapie untersage. Dieser Versicherungsschein deckt nur die zur Behandlung akuter Erkrankungen und Schmerzzustände notwendigen Kosten ab.

Noch in der Berufungsinstanz vertrat das Krankenhaus daher die Auffassung, dass es nicht verpflichtet gewesen sei, den Gesundheitszustand des Kindes in einem größeren Umfang als geschehen abzuklären, weil diese Behandlung nicht abrechnungsfähig gewesen wäre. 

Das Gericht sah das anders. Aufgrund des Sachverständigengutachtens stellte es fest, dass der behandelnde Arzt des Krankenhauses es versäumt habe, aus den erhobenen Befunden die richtigen Schlüsse zu ziehen. Der Sachverständige hatte dargelegt, dass der Arzt auf Grundlage der Ergebnisse sichere Feststellungen auf eine zu frühe Pubertätsentwicklung mit erkennbarer Beschleunigung der Skelettalterung und erheblicher Einschränkung der Wachstumsprognose hätte treffen müssen.

Die Richter stellten einen Behandlungsfehler fest. Darüber hinaus habe der Krankenhausarzt den Vater nicht über die gebotenen Therapiemaßnahmen aufgeklärt. Dass das Kind lediglich einen Krankenschein für eine ärztliche Behandlung nach dem Asylbewerberleistungsgesetz vorgelegt habe, wiesen die Richter als Begründung zurück. Nachdem der Arzt mit der Behandlung begonnen habe, hätte er die Patientin und ihren Vater zumindest darüber aufklären müssen, dass eine weitere Behandlung aus Kostengründen nicht erfolgen könne. Aufgrund von Zeugenaussagen stand für das Gericht fest, dass Familienmitglieder privat die weiteren Behandlungskosten finanziert hätten, teilweise hätte eine Krankenversicherung des Vaters gezahlt. Das Mädchen ist heute 144 Zentimeter groß. Hätte das Krankenhaus den Minderwuchs erkannt, hätte es eine Körpergröße von 156 Zentimetern erreichen können. 

Das Gericht verurteilte die Klinik zur Zahlung von 40.000 Euro Schmerzensgeld. Darüber hinaus ist sie verpflichtet, künftige Schäden die dem Mädchen aus der fehlerhaften Behandlung entstehen, zu ersetzen.

Pressemitteilung vom 01.07.2014

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