Diagnoseirrtum ist nicht gleich Behandlungsfehler

Auch ein Arzt kann irren. Ein Diagnoseirrtum kann zum Beispiel entstehen, wenn ein Arzt das Naheliegende diagnostiziert, obwohl das Fernliegende korrekt gewesen wäre. Ein Behandlungsfehler muss deshalb nicht vorliegen.

So entschied das Oberlandesgericht Koblenz, wie die Arbeitsgemeinschaft Medizinrecht des Deutschen Anwaltvereins (DAV) berichtet. In dem Fall hatte eine Patientin wegen einer Neuralgie das Medikament Carbamazepin erhalten. Nach rund drei Wochen musste sie ab dem 19. Oktober 2010 zusätzlich das Antibiotikum Amoxicillin einnehmen. Wegen einer heftigen Hautreaktion am gesamten Körper suchte die Frau am darauffolgenden Tag die Notfallambulanz eines Krankenhauses auf. Die behandelnde Ärztin vermutete eine allergische Reaktion auf das Antibiotikum und stellte darüber hinaus die Verdachtsdiagnose „Epstein-Barr-Virusinfektion“. Sie schickte die Patientin unter anderem mit der Empfehlung nach Hause, ein Antihistaminikum zu nehmen und die Cortisondosis zu erhöhen.

Klage auf Schadensersatz wegen Fehldiagnose

Der weitere Krankheitsverlauf war derart dramatisch, dass sich die Frau ab dem 29. Oktober in einer anderen Klinik stationär behandeln lassen musste. Nachdem die Ärzte dort das Carbamazepin abgesetzt hatten, besserte sich das dermatologische Beschwerdebild deutlich. Die Frau verklagte das Krankenhaus, in dem sie zunächst die Notfallambulanz aufgesucht hatte, auf Schadensersatz. Sie war der Meinung, die Ärzte hätten die Symptome für eine Unverträglichkeitsreaktion auf das Medikament Carbamazepin nicht erkannt und seien statt dessen irrig von einer Epstein-Barr-Virusinfektion ausgegangen. Dies sei schon aufgrund des Lebensalters der Frau sehr unwahrscheinlich gewesen. Eine weitere Befunderhebung und anschließende so genannte Krisenintervention hätte den Krankheitsverlauf frühzeitiger in die richtige Bahn gelenkt und so zu einem besseren Ergebnis geführt.

Haftung für Diagnosefehler nur unter bestimmten Voraussetzungen

Die Richter konnten jedoch keinen vorwerfbaren Diagnosefehler erkennen. Die angenommene allergische Reaktion auf das tags zuvor erstmals eingenommene Antibiotikum habe viel näher gelegen als eine Unverträglichkeit des schon länger eingesetzten Carbamazepin. Auch ein Befunderhebungsversäumnis der Ärztin liege nicht vor. Das Gericht betonte, dass es sich um eine einmalige Untersuchung in der Notfallambulanz gehandelt habe.

Für einen Diagnosefehler hafte ein Arzt nur unter bestimmten Voraussetzungen, erläuterten die Richter. Grundsätzlich sei es zwar als Behandlungsfehler zu werten, wenn ein Arzt eine feststellbare Erkrankung und deren Symptome nicht erkenne. Irrtümer bei der Diagnose seien dem Arzt jedoch oft gar nicht vorzuwerfen. So seien nämlich die Symptome einer Erkrankung nicht immer eindeutig. Oftmals könnten sie auf ganz unterschiedliche Ursachen hindeuten. Diagnoseirrtümer, die auf eine Fehlinterpretation der Befunde zurückzuführen sind, könne man deshalb nur mit Zurückhaltung als Behandlungsfehler werten.

Entscheidend sei daher, dass die Ärztin nicht damit habe rechnen müssen, dass das scheinbar Naheliegende wohl nicht zutreffe, während sie mit dem Fernliegenden die wohl richtige Diagnose gestellt hätte. Hier treffe sie keine Schuld.

Die Richter waren darüber hinaus auch skeptisch, ob der Ärztin in der Notfallambulanz überhaupt ein Diagnoseirrtum unterlaufen war. Es sei nicht sicher, dass bei der Patientin eine Carbamazepin-Unverträglichkeit vorgelegen habe. Der Entlassungsbericht der zweiten Klinik spreche nach immerhin siebentägiger engmaschiger Betreuung und Verlaufskontrolle lediglich davon, dass es sich „wahrscheinlich“ um eine Arzneimittelreaktion auf Carbamazepin handele. Daneben sei jedoch immer noch auch von „Verdacht auf Amoxicillin-Allergie“ die Rede gewesen. Das entspreche der Diagnose in der Notfallambulanz. Sie könne also auch nach dem Entlassungsbericht des zweiten Krankenhauses durchaus richtig gewesen sein.

Pressemitteilung vom 05.03.2015

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