2017-09


Liebe Kolleginnen und Kollegen,

anliegend übersenden wir Ihnen den Newsletter 2017-09.

 

1. Urteile aus dem Medizinrecht

 

„Göttinger Leberallokationsskandal“: Freispruch bestätigt

Im sog. „Göttinger Leberallokationsskandal“ wurde ein Arzt von dem Vorwurf freigesprochen, im Zuge durchgeführter Lebertransplantationen durch Verletzung von Regeln zur Verteilung von postmortal gespendeten Lebern versuchten Totschlag in elf Fällen und aufgrund nicht gegebener medizinischer Indikation Körperverletzung mit Todesfolge in drei Fällen begangen zu haben. Dieses Urteil hat der BGH bestätigt und die auf die Sachrüge gestützte Revision der Staatsanwaltschaft verworfen.

Die Annahme des Tatentschlusses würde voraussetzen, dass der Angeklagte in der Vorstellung gehandelt hat, ein wegen der „Manipulation“ benachteiligter Patient werde bei ordnungsgemäßem Verlauf und Zuteilung sowie Übertragung der konkreten Leber mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit überleben und ohne die Transplantation versterben (Totschlag) bzw. eine Verschlimmerung oder Verlängerung seiner Leiden erfahren (Körperverletzung) – so der BGH. Von einem solchen Vorstellungsbild des im Transplantationswesen versierten Angeklagten könne jedoch nicht ausgegangen werden. Dies gelte schon im Blick auf das mit 5 bis 10 % hohe Risiko, in oder unmittelbar nach der Transplantation zu versterben. Hinzu kämen die jeweils nicht fernliegenden Möglichkeiten der Nichteignung des Organs für den oder die „übersprungenen“ Patienten, aktuell fehlender Operationsmöglichkeiten im jeweiligen Transplantationszentrum, eines stabilen Zustands der Patienten oder der Notwendigkeit einer Retransplantation wegen Abstoßung der übertragenen Leber. Selbst die Aussicht, dass es Patienten ohne Vornahme der Transplantation besser gehen könne, habe das Landgericht als nicht nur theoretisch bezeichnet. 

In Bezug auf die sog. „Wartelistenfälle“ hat der BGH darüber hinaus bestätigt, dass eine Verletzung der Richtlinienbestimmung zur sechsmonatigen Alkoholabstinenzzeit nicht strafrechtsbegründend wirken kann. Da es insoweit an einer hinreichend bestimmten gesetzlichen Ermächtigung im Transplantationsgesetz fehlt, würde eine Bestrafung des Angeklagten wegen Totschlags oder Körperverletzung gegen das Gesetzlichkeitsprinzip (Art. 103 Abs. 2 GG) verstoßen.

Bundesgerichtshof, Urteil vom 28.06.2017 – 5 StR 20/16
https://goo.gl/g99XZ7

 

Betriebsärztliche Diagnose ist Meinungsäußerung

Die fachliche Einschätzung eines Betriebsarztes bei der arbeitsmedizinischen Begutachtung eines Arbeitnehmers ist als privilegierte Äußerung grundsätzlich nicht mit Unterlassungs- und Widerrufsansprüchen angreifbar. 

Bei der Diagnosestellung handelt es sich um eine wertende Meinungsäußerung, die ihrem Wesen nach nicht widerrufbar ist. Sie mag angezweifelt werden und kann sich als irrig erweisen. Jedoch kann der Arzt grundsätzlich nicht gezwungen werden, sie zu widerrufen. Der dem Arzt im Bereich der Diagnose zustehende weite Beurteilungs- und Wertungsspielraum spiegelt sich auch haftungsrechtlich darin wieder, dass selbst Diagnoseirrtümer nur mit Zurückhaltung als Behandlungsfehler bewertet werden können. Für die arbeitsmedizinische Beurteilung folgt dies überdies aus § 8 Abs. 1 S. 1, 2 ASiG, wonach der Arzt bei seiner Einschätzung keinen Weisungen unterliegt und wegen der Erfüllung der ihm übertragenen Aufgaben nicht benachteiligt werden darf.

Die Feststellung einer Schadensersatzpflicht käme vor diesem Hintergrund allenfalls dann in Betracht, wenn die der Schlussfolgerung vorausgehende methodische Untersuchung oder die zu dem Ergebnis führende Anwendung spezieller Kenntnisse und Fähigkeiten grob leichtfertig erfolgt ist.

Oberlandesgericht Dresden, Beschluss vom 03.07.2017 – 4 U 806/17
https://arge-medizinrecht.de/wp-content/uploads/2017/09/olg-dresden-4-u-806-17.pdf

 

Verfassungsbeschwerde eines Augenarztes nach Haftungsprozess

Ein Augenarzt hat sich als Beschwerdeführer und Beklagter im Ausgangsverfahren mit seiner einen Arzthaftungsprozess betreffenden Verfassungsbeschwerde erfolgreich gegen die abweichende Würdigung seiner in erster Instanz erfolgten Parteianhörung durch das Berufungsgericht ohne erneute Anhörung gewendet. Die angegriffene Entscheidung verletzte Art. 103 Abs. 1 GG in zweierlei Hinsicht, so das BVerfG. Zum einen sei nicht ersichtlich, dass das OLG auf seine Absicht hingewiesen habe, von der Beweiswürdigung des LG abzuweichen. Ein Berufungsbeklagter könne aber grundsätzlich darauf vertrauen, dass ihm das Berufungsgericht, wenn es in der Beweiswürdigung dem Erstrichter nicht folgen will, rechtzeitig einen Hinweis gemäß § 139 ZPO erteilt. Zum anderen habe das OLG von einer neuerlichen Anhörung bzw. Vernehmung der Partei abgesehen, obschon es hierzu verpflichtet war. Eine neue Tatsachenfeststellung durch das Berufungsgericht setze auch im Fall des Beweises durch Parteivernehmung regelmäßig eine erneute Vernehmung voraus.

Bundesverfassungsgericht, Beschluss vom 01.08.2017 – 2 BvR 3068/14
https://goo.gl/BMxqHD

 

Zur Wahl einer nicht allgemein anerkannten Behandlungsmethode

Die Wahl einer nicht allgemein anerkannten Behandlungsmethode (hier: ganzheitliche Zahnmedizin) setzt eine sorgfältige und gewissenhafte medizinische Abwägung von Vor- und Nachteilen unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalles und des Wohls des konkreten Patienten voraus. Bei dieser Abwägung sind auch die Untersuchungs- und Behandlungsmöglichkeiten der Schulmedizin zu berücksichtigen. Je schwerer und radikaler der Eingriff in die körperliche Unversehrtheit des Patienten ist, desto höher sind die Anforderungen an die medizinische Vertretbarkeit der gewählten Behandlungsmethode.

Ein Zahnarzt sah sich nach der operativen Entfernung von vier Zähnen im rechten Oberkiefer und einer Ausfräsung des Kieferknochens, die bei der Klägerin zu schwerwiegenden, irreversiblen Gesundheitsschäden (Verlust bzw. Teilverlust der Kau-, Gebiss- und Implantatfähigkeit) führte, einer Haftungsklage ausgesetzt, die zunächst Erfolg hatte. Im Revisionsverfahren war nun der Zahnarzt erfolgreich. Wie der BGH klarstellte, führt die Wahl einer außerhalb der Schulmedizin liegenden Behandlung nicht ohne weiteres zu der Annahme eines Behandlungsfehlers. Aufgrund mangelnder Sachkunde des befassten Gutachters wurde die Sache zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das OLG zurückverwiesen.

Bundesgerichtshof, Urteil vom 30.05.2017 – VI ZR 203/16
https://goo.gl/Quni1j

 

Integrierte Versorgung: Zur wettbewerbsrechtlichen Sperrwirkung eines Selektivvertrags

Ein als Selektivvertrag zwischen einer gesetzlichen Krankenkasse und einem Leistungserbringer geschlossener medizinischer Versorgungsvertrag (hier: Zahnbehandlung und Zahnersatzleistungen), dessen Zweck die Steigerung der Qualität der Versorgung und die Versorgung finanziell schlechter gestellter Versicherter ist, verstößt auch dann nicht gegen Vorgaben des Kartellrechts, wenn er andere Leistungserbringer von der Erbringung von Versorgungsleistungen ausschließt und zugleich die Beteiligten des Vertrages verpflichtet, medizinische Produkte von bestimmten Produzenten zu beziehen. Denn insoweit ist die wettbewerbsbeschränkende Wirkung nur eine Nebenfolge des eigentlich beabsichtigten Zwecks einer sicheren und kostengünstigen medizinischen Versorgungsleistung.

Bei einem Selektivvertrag zur Sicherstellung der medizinischen Versorgung handelt es sich auch nicht um eine unzulässige wettbewerbsrechtliche Bezugssperre, da die Selektivität nicht gegen ein bestimmtes Unternehmen gerichtet ist, das ausgeschlossen werden soll, sondern gegen alle Marktteilnehmer, die nicht in die Leistungsbeziehungen des Selektivvertrages einbezogen sind.

Schließlich stellt ein Selektivvertrag über Versorgungsleistungen zwischen einer gesetzlichen Krankenversicherung und einem Leistungserbringer auch keinen Vertrag zugunsten Dritter dar, in den weitere Leistungserbringer, die nicht selbst Vertragspartei sind, einbezogen sind bzw. auf Verlangen einbezogen werden können. 

Oberlandesgericht Düsseldorf, Urteil vom 13.07.2016 – VI-U (Kart) 1/16
https://goo.gl/V2Vrmb

 

Berufungsantrag abgelehnt: Erkrankter Zahnarzt verliert Approbation

Der Widerruf der Approbation als Zahnarzt wegen einer Epilepsie-Erkrankung und fehlender Therapieeinsicht ist rechtmäßig. Der vom betroffenen Kläger behauptete nicht ausschließbare Behandlungserfolg bei optimaler Medikation hätte als Grundlage einer Ruhensanordnung nach § 5 ZHG nicht genügt. Für eine zeitlich absehbare Besserung des Gesundheitszustandes und eine damit einhergehende Wiederherstellung der gesundheitlichen Eignung des Klägers wäre vielmehr eine Therapieeinsicht und -bereitschaft erforderlich gewesen. Da schon der drohende Widerruf der Approbation beim erkrankten Kläger keine Therapiebereitschaft ausgelöst hat, besteht kein Anlass zur Annahme, die bloße Anordnung des Ruhens der Approbation hätte den Kläger zur Aufnahme einer ärztlicherseits dringend angeratenen Behandlung veranlassen können.

Oberverwaltungsgericht Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 23.06.2017 – 13 A 2455/16
https://goo.gl/1GWRSH

 

Zulassungsentziehung wegen Verletzung der Fortbildungspflicht

Das SG München hat die Entziehung der Zulassung eines Gynäkologen, der in einem Zeitraum von mehr als fünf Jahren keine Fortbildungspunkte sammelte, bestätigt. Es stellte eine gröbliche Verletzung vertragsärztlicher Grundpflichten fest. Eine Nachreichung von Fortbildungspunkten sei nicht möglich, da es sich bei § 95d Abs. 3 S. 4 SGB V um eine gesetzliche Ausschlussfrist handelt.

Grundsätzlich sei vor dem Hintergrund des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes das gesamte Verhalten des Vertragsarztes außerhalb des Pflichtverstoßes mit zu reflektieren. In dem streitgegenständlichen Verfahren erscheine eine Disziplinarmaßnahme nicht mehr als ausreichend, sodass als ultima- ratio- Maßnahme nur der Zulassungsentzug nach § 95 Abs. 6 SGB V in Betracht komme. Der betroffene Arzt habe nicht nur fünf Erinnerungsschreiben ignoriert, sondern auch Honorarkürzungen in mehreren Quartalen von bis zu 25 % akzeptiert. Wer in diesem Maße Warnhinweise missachte, signalisiere, dass er nicht gewillt ist, seiner Fortbildungspflicht nachzukommen.

Sozialgericht München, Urteil vom 24.05.2017 – S 38 KA 205/16
https://goo.gl/17P75f

 

Nachbesetzung in BAG: Bestand des einzelnen Arztsitzes ausschlaggebend

Für die Beurteilung des Vorliegens eines sog. Praxissubstrats als Voraussetzung der Durchführung eines Nachbesetzungsverfahrens nach § 103 Abs. 3a SGB V bei Berufsausübungsgemeinschaften kommt es darauf an, ob der Vertragsarztsitz des ausscheidenden Arztes noch in einem Umfang bestand, der eine fortführungsfähige Praxis begründet. Es ist nicht auf die gesamte BAG abzustellen. Würde allein an den Leistungsumfang der BAG angeknüpft, würde das Nachbesetzungsverfahren womöglich nicht dem Abbau einer Überversorgung, sondern wieder der Versorgungsausdehnung dienen. Durch die Nachbesetzung eines Vertragsarztsitzes, dessen Inhaber nur in geringem Umfang tätig war und für den die übrigen Partner der BAG Leistungen mit erbracht haben, würde das Regelleistungsvolumen der BAG insgesamt ausgeweitet, ohne dass es zu einer Abstaffelung der Vergütung käme.

Auch die Ablehnung der Durchführung des Nachbesetzungsverfahrens wegen eines fehlenden Praxissubstrats fällt unter § 103 Abs. 3a SGB V und ist damit vom Ausschluss des Vorverfahrens gemäß § 103 Abs. 3a S. 11 SGB V erfasst.

Sozialgericht Berlin, Urteil vom 10.05.2017 – S 87 KA 946/16
- veröffentlicht bei juris.de –
Revision anhängig unter B 6 KA 46/17 R

 

Verbot der telefonischen Beratung und Behandlung von Kassenpatienten

Auf einen Eilantrag der KVB hin hat das SG München ein System der telefonischen Behandlung von Kassenpatienten durch ein in der Rechtsform eines eingetragenen Vereins organisiertes Praxisnetz verboten. Es stellte einen Verstoß gegen das Verbot der ausschließlichen Fernbehandlung nach § 7 Abs. 4 der Berufsordnung für Ärzte Bayern fest. 

Das Gericht hob den hohen Rang des Sicherstellungsauftrags der vertragsärztlichen Versorgung hervor. Die ambulante Versorgung sei grundsätzlich den Kassenärzten exklusiv vorbehalten; der Notdienst in sprechstundenfreien Zeiten sei Sache der Kassenärztlichen Vereinigungen. Bei telefonischen Verdachts- oder Negativdiagnosen handele es sich um ärztliche Behandlung. Sobald ein Patient aufgrund der telefonischen Empfehlungen auf einen Arztbesuch verzichte, sei der Tatbestand einer verbotenen ausschließlichen Fernbehandlung erfüllt.

Sozialgericht München, Beschluss vom 17.07.2017 – S 28 KA 94/17 ER
https://goo.gl/F9y3Pd

 

Zum Auskunftsanspruch einer Krankenhauspatientin

Ein Patient kann vom behandelnden Krankenhaus gegen Kostenerstattung ohne weiteres die Herausgabe aller Behandlungsunterlagen verlangen. Namen und Anschriften der an seiner Behandlung beteiligten Ärzte muss das Krankenhaus aber nur dann mitteilen, wenn der Patient ein berechtigtes Interesse an diesen Daten nachweist.

Nach einer Wirbelsäulen-Operation hatte eine Patientin durch anderweitige Behandlungen den Eindruck eines Behandlungsfehlers gewonnen und verlangte die Herausgabe aller Behandlungsunterlagen und die Mitteilung von Namen und Anschriften der an ihrer Behandlung beteiligten Ärzte. Ihre entsprechende Klage hatte in Ermangelung eines derartigen Auskunftsanspruchs jedoch keinen Erfolg. Denn ohne weiteres haben Patienten keinen Anspruch auf Auskunft über Namen und Anschriften aller Ärzte und Pfleger, die sie während eines Krankenhausaufenthalts betreut haben. Es ist vielmehr die Darlegung erforderlich, dass diese als Anspruchsgegner wegen eines Behandlungs- oder Aufklärungsfehlers oder als Zeugen einer Falschbehandlung in Betracht kommen könnten. Im vorliegenden Fall verlangte die Patientin allerdings lediglich pauschal generelle Auskünfte. 

Oberlandesgericht Hamm, Urteil vom 14.07.2017 – 26 U 117/16
https://goo.gl/97GvwU

 

Laboreinnahmen: „Aachener Modell“ unzulässig?

Chefärzte bzw. Klinikdirektoren eines Universitätsklinikums haben keinen Anspruch auf einen Teil der Gewinne des Zentrallabors für die von ihnen veranlassten Laborleistungen (Privaterlöse). Eine solche Beteiligung verstößt gegen § 31 der (Muster-)Berufsordnung.

Verwaltungsgericht Düsseldorf, Urteil vom 26.06.17 – 15 K 3450/15
https://goo.gl/JvqNzq

 

Radiologin in Urlaubsvertretung freiberuflich tätig

Eine Radiologin, die in einer radiologischen Gemeinschaftspraxis als Urlaubsvertreterin MRT-, CT- und Röntgenuntersuchungen befundet, unterliegt nicht der Sozialversicherungspflicht, wenn sie entscheiden kann, an welchen Tagen sie arbeitet, und nach Arbeitsstunden bezahlt wird, wobei sie nicht das Zeiterfassungssystem der Praxis nutzen muss. 

Die Ärztin rechnete für ihre Vertretungstage gegenüber der Praxis für Radiologie mit acht Gesellschaftern und weiteren angestellten Ärzten einen vereinbarten Stundensatz in Höhe von 60 € ab. In die Praxisorganisation war sie nicht eingebunden. Die Praxis klagte, nachdem die Rentenversicherung die Tätigkeit als abhängig und sozialversicherungspflichtig eingestuft hatte.

Das Gericht stellte eine freiberufliche Tätigkeit fest. Es sah deutliche Unterschiede zwischen den übrigen in der Praxis abhängig beschäftigten Ärzten und der Praxisvertreterin und gab der Praxis Recht. 

Landessozialgericht Baden-Württemberg, Urteil vom 21. Februar 2017 – L 11 R 2433/16
https://goo.gl/8ymotB

 

Zur abhängigen Beschäftigung von Anästhesisten, OP-Schwestern, Pflegekräften und Tierärzten

Bei einem im OP-Bereich einer Klinik tätigen Facharzt für Anästhesiologie ist regelmäßig von einer abhängigen und damit sozialversicherungspflichtigen Beschäftigung auszugehen.

Im entschiedenen Fall war der betroffene Anästhesist in die Arbeitsorganisation der Klinik eingegliedert: Er nutzte die Arbeitsgeräte der Klinik, ohne die er seine Tätigkeit nicht hätte ausüben können. Er sprach mit der Klinik ab, auf welchen Stationen und in welchen Schichten er im Rahmen des im Krankenhaus organisierten Ablaufs tätig sein sollte und war Teil eines Teams aus Pflegekräften und Ärzten. Zudem erhielt er einen festen Stundenlohn und trug kein Unternehmerrisiko. Dass er nicht an Besprechungen des Operationsteams teilnehmen musste und sich den Operationssaal frei auswählen konnte, kam ihm vor Gericht nicht zu Gute. Auf die Ausnahmeregelung für Notärzte im Rettungsdienst, deren Einnahmen nicht beitragspflichtig sind, konnte er sich nicht berufen.

Landessozialgericht Hessen, Urteil vom 10.08.2017 – L 1 KR 394/15
- offenbar bisher nicht veröffentlicht - 

Das Hessische LSG hat zudem bereits entschieden, dass eine OP-Krankenschwester wie auch eine Pflegefachkraft in einem Pflegeheim regelmäßig abhängig beschäftigt sind  (Urteile vom 26.03.2015 – L 8 KR 84/13 sowie vom Urteil vom 16.05.2017 – L 1 KR 551/16). 

Es entschied im Übrigen, dass eine Tierärztin auch dann, wenn sie nicht als Niedergelassene arbeitet, sondern ihre Tätigkeit in der Pharmaindustrie ausübt, von der Rentenversicherungspflicht befreit ist.

Landessozialgericht Hessen, Urteil vom 10.08.2017 – L 1 KR 120/17
https://goo.gl/cZE68E

 

Beweislast für Negativ-Urteile in Arztbewertungsportalen liegt beim Betreiber 

Die Jameda GmbH darf die negative Bewertung eines Zahnarztes nicht weiter veröffentlichen. Der Zahnarzt hatte gerichtlich vorgetragen, der Eintragsverfasser sei gar nicht bei ihm in Behandlung gewesen. Jameda lehnte die Löschung des angegriffenen Eintrags mit dem Hinweis darauf ab, der Bewertende habe seine Schilderungen auf Nachfrage bestätigt, und versuchte dies anhand einer nahezu komplett geschwärzten E-Mail zu belegen.

Dies beanstandete das Gericht. Eine bloße Bestätigung des Bewertenden sei kein Beweis. Könne ein Bewertungsportalbetreiber den Wahrheitsgehalt umstrittener Einträge nicht wirksam belegen, dürfe er weder Schilderungen in Textform noch damit zusammenhängende Bewertungen veröffentlichen. 

Landgericht München I, Urteil vom 03.03.2017 – 25 O 1870/15
- bisher offenbar unveröffentlicht -

 

DocMorris-Arzneimittelabgabestelle bereits nach zwei Tagen wieder geschlossen

Dem Versandhändler DocMorris ist bis auf Weiteres verboten, in dem 2.000-Einwohner-Ort 74928 Hüffenhardt über einen Medikamentenausgabeautomaten mit angeschlossenem Videoterminal („Video-Apotheke“) apothekenpflichtige und/oder verschreibungspflichtige Arzneimittel an Patienten abzugeben. Der Ort ist seit 2015 ohne Apotheke.

Das LG Mosbach erklärte die Arzneimittel-Abgabe auf Anforderung über ein Videoterminal im Wege einer einstweiligen Verfügung für unzulässig. Diese Vorgehensweise verstoße gegen Vorschriften des Arzneimittelgesetzes und der Apothekenbetriebsordnung. Ein Apotheker ist verpflichtet, bei Unklarheiten die Verschreibung vor der Abgabe des Arzneimittels zu ändern, dies auf der Verschreibung zu vermerken und zu unterschreiben. Dazu muss jeder Verschreibung u.a. ein handschriftliches Namenszeichen hinzugefügt werden. Die Erfüllung dieser Vorgaben sei vor der Abgabe eines Medikaments durch den Medikamentenausgabeautomaten nicht möglich.

Landgericht Mosbach, Urteil vom 14.06.2017 – 4 O 18/17 KfH
- offenbar bisher unveröffentlicht -

 

 

2. Aktuelles

 

Gesetzliche Unfallversicherung: Honorarsteigerung um 18 Prozent

07.09.2017 - Für die Abrechnung der Gebühren nach der UV-GOÄ im Bereich der gesetzlichen Unfallversicherung erfolgt eine Honorarsteigerung. Die Anpassung kommt allen Ärzten zugute, die für die Unfallversicherung tätig sind. Die Anhebung erstreckt sich über vier Jahre.

Zunächst werden die Gebührensätze ab 01.10.2017 um acht Prozent erhöht. Danach folgen drei weitere Stufen mit einer Erhöhung von je drei Prozent, jeweils zum 01.10.2018, 2019 und 2020. Die Anpassung erfolgt basiswirksam, sodass sich eine Steigerung von insgesamt 18 Prozent ergibt.

Aktuelle & neue UV-GOÄ und Vertrag Ärzte/Unfallversicherungsträger:
http://www.kbv.de/html/uv.php

 

Strahlendiagnostik und -therapie: Genehmigungsverfahren vereinfacht 

Ärzte erhalten ab dem 01.10.2017 unkomplizierter eine Genehmigung für radiologische und computertomografische Untersuchungen. Dazu wurde die Vereinbarung zur Strahlendiagnostik und -therapie angepasst. Für bestehende Genehmigungen ändert sich nichts.

Zur Beantragung einer Genehmigung zur Durchführung radiologischer und computertomografischer Untersuchungen legen Ärzte ab dem 01.10.2017 ihrer KV die behördliche Genehmigung bzw. die Anzeigebestätigung nach Röntgenverordnung vor. Darüber hinaus kann die KV weitere Unterlagen, zum Beispiel den Bericht der Sachverständigenprüfung nach Röntgenverordnung, anfordern.

Auch künftig erteilt die KV die Genehmigung nach Anwendungsklassen. Diese sind jedoch nicht mehr in der Qualitätssicherungsvereinbarung definiert, sondern entsprechen den röntgenrechtlichen Vorgaben. Die Zuordnung zu den vom Arzt beantragten Anwendungsklassen nimmt die KV anhand der eingereichten Unterlagen vor. Gewährleistungserklärungen der Hersteller oder Vertreiber des entsprechenden Gerätes müssen nicht mehr eingereicht werden.

Vereinbarung zur Strahlendiagnostik und -therapie ab 01.10.2017
http://www.kbv.de/media/sp/Strahlendiagnostik.pdf

 

Höhere Gehälter für MFA und neue Regelungen bei Sonderzahlung

Die Tarifpartner der niedergelassenen Ärzte (AAA) und der Medizinischen Fachangestellten (Verband medizinischer Fachberufe e.V.) haben sich auf einen neuen Gehaltstarifvertrag mit einer Laufzeit vom 01.04.2017 bis 31.03.2019 und auf einen neuen Manteltarifvertrag mit einer Laufzeit bis zum 31.12.2020 geeinigt.

Die Erklärungsfrist ist bereits abgelaufen, die Einigung also bereits in Kraft. Die Gehälter steigen damit rückwirkend zum 01.04.2017 um 2,6 Prozent linear und ab 01.04.2018 nochmals um 2,2 Prozent. Auch die Ausbildungsvergütungen werden rückwirkend zum 01.04.2017 in allen drei Ausbildungsjahren um 30 € brutto monatlich erhöht. Ab 01.04.2018 steigen sie durchschnittlich um weitere 1,7 Prozent. 

Das bisherige 13. MFA-Gehalt wird in eine Sonderzahlung umgewandelt: Vom kommenden Jahr an wird die Hälfte des 13. Monatsgehalts auf die Monatsgehälter und Ausbildungsvergütungen umgelegt, die andere Hälfte wird als Sonderzahlung zum 1. Dezember ausgezahlt. Damit werden die in der Tariftabelle vereinbarten monatlichen Bruttogehälter und die Ausbildungsvergütungen ab Januar 2018 um 4,17 Prozent bzw. 1/24 angehoben.

Die Sonderzahlung soll die Liquiditätsengpässe vieler Praxen, die durch das 13. Gehalt alljährlich entstehen, vermindern. Gleichzeitig soll sie künftig stärker auf die Dauer der Praxiszugehörigkeit ausgerichtet sein: Den Anspruch erwerben MFA nach einer Wartezeit von sechs Monaten, Auszubildende nach einer Wartezeit von drei Monaten.

Die Erhöhung der Sonderzahlung wurde ab dem 2. Jahr der Betriebszugehörigkeit vereinbart. Sie beträgt im Jahr 2018 55 Prozent, im Jahr 2019 60 Prozent und ab 2020 65 Prozent des Monatslohns. Voraussetzung für den Bezug ist ein ungekündigtes Arbeitsverhältnis am 1. Dezember des jeweiligen Jahres. Bei Eigenkündigung durch MFA wird eine Rückzahlungsverpflichtung eingeführt. Sie gilt für den Fall, dass die oder der Beschäftigte das Arbeitsverhältnis durch eigene Kündigung vor dem 31. März des Folgejahres beendet. Diese Rückzahlungsverpflichtung reduziert sich nach drei Jahren auf die Hälfte und entfällt ab fünf Jahren Betriebszugehörigkeit.

Zu den Tarifverträgen für Medizinische Fachangestellte:
https://www.vmf-online.de/mfa/mfa-tarife

 

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Impressum

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Fax 030 – 72 61 52 – 190

V.i.S.d.P.: Rechtsanwalt Tim Hesse, Mitglied der Arbeitsgemeinschaft Medizinrecht

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